Axel Lichtenstein, Baujahr 1966, ist Rheinländer aus Sinzig, seit seinem 6sten Lebensjahr durch den Papa übertragen Schalke-infiziert. Zu seinem ersten Spiel ins Parkstadion gegen den 1.FC Köln (DFB-Pokal-Halbfinale 1980) wurde er im Alter von 14 Jahren von der Mutter eines Freundes gefahren. Seitdem war es dann trotz Niederlage gänzlich um ihn „geschehen“. Heute verpasst er kein Spiel, sei es im „Gelsen-Tempel“ oder im daheim eigens eingerichteten Stadion mit eigener Nordkurve.
Das Leben geht manchmal seltsame Wege – da kann’s einen auch schonmal auf die falsche Seite des Stadions verschlagen.
1999. Mein Bruder Uwe hatte sich von seiner Frau getrennt und auch ich war das letzte Mal Single, bevor ich bei meinem neuen Arbeitgeber bald auf meine zukünftige Frau treffen sollte. Uwe und ich unternahmen also einen Männerurlaub auf Rhodos, in dem wir zwei ganz besondere Menschen kennenlernen sollten.
Es war schweine-heiß im Juli, als wir an einem späten Abend mit weiteren geschätzten zehn Leuten wegen Überbuchung in eine Absteige einquartiert wurden. In einem nahegelegenen Bistro spülten wir unseren Unmut bei einigen Mythos (leckeres griechisches Bier) herunter und wir hörten am Nachbartisch ein zu unserer Gruppe gehörendes Pärchen, ebenfalls über diese blöde Situation verärgert, schimpfen wie die Rohrspatzen. Der Ruhrpott-Dialekt der Beiden blieb mir dabei nicht verborgen.
Am nächsten Tag wendeten sich die beiden Ruhrpötter, Uwe und ich mit massivem Druck an den Reiseveranstalter, der unseren Forderungen dann irgendwann endlich nachgab und uns in ein vernünftiges Hotel umziehen ließ. Als wir eincheckten, waren die beiden Ruhrpötter (Frank und Sigrid) vor uns an der Reihe und ich hörte, wie er stolz seinen Wohnort mit „Verbotene Stadt“ angab (Ok, er verwendete eine andere Bezeichnung). Ich sagte meinem Bruder „Och ne, nicht das auch noch. Ne Zecke in unserem Hotel, das brauche ich ja nach dem bereits verunglückten Start mit eintägigem Zeitverlust überhaupt nicht“.
Besagter Frank stand dann später am Buffet vor mir und wollte die Wartezeit mit einem Gespäch, was er mir aufdrückte, überbrücken, in dem er fragte: „Woher kommt Ihr zwei Vögel denn?“. Ich beantwortete wahrheitsgemäß, dass wir aus der Nähe von Köln kämen. Er darauf: „Watt willste denn da? Da spielen sie ja nicht mal vernünftigen Fußball…“ Ich konnte mich nicht zurückhalten und antwortete „Deshalb fahren wir die A3/A2 auch weiter nach Gelsenkirchen“. Den saublöden Blick, der daraufhin folgte, vergesse ich mein Leben nicht mehr. Wie es also der „Zufall“ so wollte, hatte er nun jemanden gefunden, mit dem er den Rest des Urlaubes über Fußball quatschen konnte. Wir zogen uns gegenseitig in der härtesten Revier-Rivalität hoch, verstanden uns aber prächtig.
Die zwei Wochen vergingen wie im Fluge und wir versprachen uns gegenseitig, auf besondere Art in Kontakt zu bleiben. So beschlossen wir nämlich, den anderen jeweils zu einem Revierderby mitzunehmen.
Es dauerte bei mir dann bis zum 24.02.2001, als ich ihn zu einer unspektakulären Nullnummer mit ins Parkstadion nahm, wir saßen irgendwo auf der Gegengerade und gähnten gegenseitig um die Wette. Daraufhin revanchierte er sich fast genau ein Jahr später auf eine ziemlich miese Art und Weise. Er lud meinen Bruder Uwe, meine Frau und mich ein, ihn und Sigrid am 16.02.2002 zum Revierderby ins Zeckenland zu begleiten.
Schon auf der Bahnfahrt habe ich eine noch nie gekannte verhasste Stimmung wahrgenommen, die mich doch ziemlich unentspannt dem zu Erwartenden entgegen sehen ließ. So musste ich dann Phrasen und Parolen wie „Tod und Hass dem S04“ oder „Am Tag, als der FC Sch… starb“ tatenlos über mich ergehen lassen.
Wenigstens identifizierte Frank meinen Bruder und mich nicht als „Blaue Fraktion“ bzw. „Achse der Guten“. Es kam dann wie es kommen musste und er führte uns auf unsere Plätze, und zwar nirgend woanders hin, als auf die Südtribüne dieses Scheiß-Stadions. Es war für mich unfassbar, was ich da gerade erleben musste, ich war sprachlos und konnte nur noch mit dem Kopf schütteln und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass mich mein „Kumpel“ Frank hämisch angrinste.
Das Spiel ging dann irgendwann los und ich fühlte mich nur noch zum Kotzen. Das änderte auch nicht die Tatsache, dass meine Frau eine Stufe hinter mir stand und ihre Hände über meine Schulter legte, damit ich diese – schweißnass – in ihre legen konnte.
Und dann passierte das schier Unglaubliche: Ein steiles Anspiel auf Marc Wilmots klärte der ja mittlerweile in falschfarben auflaufende Jens Lehmann aus dem Strafraum vor der bösen Tribüne herauseilend unkontrolliert genau vor die Füße des knapp 35-40 Meter vor dem Tor stehenden Nils-Oude Kamphuis. Und der schoss die Pille, fast an der Außenlinie stehend, über alle Köpfe hinweg in einer mir unendlich lang erscheinenden Flugphase zum 1:0 in das leere Tor…mitten in das Zeckenherz!
Aufgrund der Entfernung nahm ich den Jubel meiner Jungs auf der anderen Seite in einer eher verhaltenen Lautstärke zur Kenntnis. Es folgte um mich herum so etwas wie eine Totenstarre, es war mucksmäuschen-still. Und mitten in diese Totenstille, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können, schrie meine Frau über meinen Schultern hinweg „Aua, aua Du tust mir weh“. Ich hatte mich so sehr gefreut und durfte das wegen meiner unglücklichen räumlichen Situation nicht zum Ausdruck bringen, dass ich meine Hände zu Fäusten ballte, um meine Emotionen irgendwie rauszulassen. Dabei vergaß ich wohl, dass ich ihre Hände in meinen hielt. Was folgte waren gefühlte 1.000 Augenpaare, die alle in meine Richtung starrten.
Einer von denen rettete mir wohl eher unbewusst das Leben, in dem er sagte: „Ey Mann, datt iss zwar jetzt Kacke, aber da kann die Torte doch auch nix für“. Ich nickte ihm zu und stammelte so etwas wie „Ja hast Recht, es iss halt mit mir durchgegangen“ und sagte zu meiner Frau laut „Sorry“, die natürlich genau wusste, was da eben in mir vorgegangen ist. Mein vorher strahlender Kumpel Frank war jedenfalls äußerst ruhig und dankt dem lieben Gott wohl noch heute, dass Ewerton in der zweiten Halbzeit noch ausglich und das Spiel 1.1 endete.
Das Spiel und insbesondere diese Situation, in der ich ganz knapp meiner Hinrichtung entging, vergesse ich wohl nie in meinem Leben. Keinen Abbruch tat es aber der Freundschaft zu Frank und seiner Frau Sigrid, die wohl ewig Bestand haben wird.
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
Toll! Der Satz mit der Torte ließ mich Tränen lachen!Vielen Dank dafür!!!
Vielen lieben Dank Henning!!!