Marius Winzler hat Jahre als aktives Mitglied der Schalker Fanszene verbracht und dabei etliche Schalker Geschichten auf und neben dem Platz erlebt. Doch nichts ist ihm so in Erinnerung geblieben, wie sein erstes Spiel der Schalker, was sich auch widerspiegelt im Namen des Blogs, den er betreibt: „Alles begann gegen Schweinfurt“
Das erste Spiel, das erste Tor, eine ganz neue Welt.
Viele Schalker, die im Ruhrgebiet oder gar in Gelsenkirchen aufgewachsen sind, haben ähnliche Geschichten zu erzählen, wenn es um Ihren ersten Kontakt mit dem S04 geht. Bei mir war es nicht anders, auch bei mir wurde die Leidenschaft für die Königsblauen über Großvater und Vater herangetragen.
Ich bin geboren im Jahr 1981 und die folgenden Jahre waren mit Sicherheit nicht die ruhmreichsten des FC Schalke 04. Im Mai 1981 stieg der Verein in die zweite Bundesliga ab, nur um in der nächsten Saison wieder den Aufstieg in der Bundesliga zu schaffen. Ein Jahr später ging es wieder eine Klasse tiefer, einfach nur um erneut den direkten Wiederaufstieg zu erreichen. Der Abstieg in der Saison 87/88 besiegelte dann den dritten Gang in die 2. Bundesliga zu meinen Lebzeiten. Und genau in diese Phase, um genauer zu sein in die Saison 90/91 fiel mein erster Besuch eines Pflichtspieles der Königsblauen. Am 25. Spieltag war der FC Schweinfurt zu Gast und den Erzählungen nach haben mir mein Großvater und Vater den Besuch des Spiels bis zum Samstag Morgen verheimlicht, damit ich mich noch wenigstens halbwegs auf das restliche Leben konzentrieren konnte.
Ich bekomme den Morgen des 16.03.1991 nicht mehr ganz als Erinnerung zusammen, kann mich aber daran erinnern, dass mein Vater und mein Großvater noch darüber diskutiert haben, in welchen Block wir gehen. Mein Großvater war ein überzeugter Freund der Haupttribüne, während mein Vater die Südkurve bevorzugte. Schlussendlich landeten wir in Block E auf der Haupttribüne. Wir waren recht spät dran, so dass ich das Vorprogramm, was auch immer das zu dieser Zeit war, nicht mitbekommen habe. Wir sind zu Dritt die Treppen zu unseren Plätzen herunter gelaufen und ich habe mich geärgert, dass alles so eng war und ich teilweise auf dem Schoß meiner Begleiter sitzen musste. Ich wollte meinen eigenen Platz! Erst viel später, als ich mal kurzfristig Ordner im Parkstadion war, wurde mir bewusst, dass ich schlicht und ergreifend keine Karte hatte und mein Vater mich wohl so durch das Drehkreuz geschoben hatte.
Mein Ärgernis vor dem Spiel wurde aber jäh unterbrochen, als die Nordkurve in für mich doch recht brachiale Gesänge einstimmte und meine komplette Aufmerksamkeit auf sich zog. Mein Vater musste mich darauf hinweisen, dass die Mannschaften schon auf dem Feld waren, aber auch dann konnte ich mich mehr schlecht als recht auf das Geschehen auf dem Feld konzentrieren. Mein Kopf wanderte zwischen Spielfeld und Nordkurve hin und her.
Mein Vater hatte sich extra das Spiel gegen Schweinfurt ausgesucht, in der Hoffnung, dass sich der Tabellen-Zweite recht deutlich gegen den Tabellen-Letzten durchsetzen würde und ich ein Spiel mit vielen Toren sehen könnte. Der FC Schalke wurde zumindest in den ersten Minuten des Spiels der Favoriten-Rolle nicht gerecht und das Spiel zog sich. Zu allem Überfluss forderte der unkontrollierbare Harndrang eines 10 Jahre alten Jungen seinen Tribut, so dass ich kurz vor der Halbzeit doch sehr deutlich machte, bald mal zum Klo zu müssen. Umsichtig begab sich mein Vater mit mir kurz vor der Halbzeit in Richtung Toiletten, nur um in der 44. Minute das 1:0 durch Thomas Zechel zu verpassen. Den Schreck durch den Torjubel werde ich in meinem Leben nicht mehr vergessen. Mein Vater versuchte die Haltung zu bewahren und hat mir später mal erzählt, dass er mir doch recht süffisant gesagt hat, dass „ich das erste Tor auf Schalke verpasst habe, weil ich pinkeln musste“.
Zur zweiten Halbzeit waren wir zurück auf unseren Plätzen und ich bin Alexander Borodjuk bis heute dankbar, dass ich in der 77. Spielminute doch noch mein erstes Tor erleben konnte. Selbstverständlich habe ich nicht das Tor gesehen, sondern hatte meinen Blick gerade auf die Nordkurve gerichtet, nur um für mein Leben geprägt zu werden. Eine solche Explosion von Emotionen hatte ich bis dahin noch nie erlebt.
Die Geschichten über die Nordkurve und mein damit verbundener Respekt vor der unkontrollierten Masse hielt mich auch im Teenager-Alter irgendwie davon ab, die Nordkurve zu besuchen. Doch im Jahr 1995 gegen den KSC war es dann soweit. Der FC Schalke 04 gewann, durch Tore von Mulder und Ksienzyk (Gegentor Häßler) mit 2:1. Das Erlebnis war ebenfalls groß und ebnete erneut den Weg für viele weitere Stadionbesuche. Ich habe in der Zwischenzeit viele Spiele gesehen, viele Highlights waren dabei: 1996 das 2:1 gegen Bayern, Brügge, der 4:0 Auswärtserfolg im Derby, die 04 Minuten Schweigen gegen die Bayern, Spiele in Städten wie Kopenhagen oder Liberec, Sevilla, Chelsea oder die Märsche durch Bochum. Doch keines dieser Erlebnisse kommt an die Erinnerung an das Tor gegen Schweinfurt heran.
Ich habe eine besondere Beziehung zum Parkstadion, es war mein erstes Stadion. Der Abriss der Haupttribüne war gerade aufgrund der Erinnerungen recht übel für mich. Aber, auch wenn es verdammt kitschig klingt, die alten Flutlichtmasten auf dem Weg nach Hause zaubern mir immer noch ein Lächeln auf das Gesicht. Nach vielen Jahren Stehplatz in der Nordkurve, in Parkstadion und Arena, zig Auswärtsblöcken in den Ländern diese Welt, sitze ich seit dieser Saison auf der Haupttribüne in Block F. Ich sitze neben meinem Vater und ich habe meinen eigenen Platz…
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
Sehr schön zu lesen und am Ende den roten Faden aufgegriffen!
Ich glaube, bei dem Spiel war ich auch dabei! Ich hatte allerdings einen eigenen Platz 😉
Glückauf,
Enatz
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