„Oberschuir“ hat ganz vage Erinnerungen an ein Spiel in der Glückaufkampfbahn im Jahre 1941, das womöglich den Anfangspunkt seiner unzähligen Besuche von Schalker Spielen darstellt. Und selbst lief er auch mal im wunderbaren Königsblau auf den Platz, als Halblinker mit der fünften Schülermannschaft gegen die sechste. Das waren noch Zeiten!
Sechzig Jahre später steht der S04 im Pokalfinale, eine Herausforderung für den Club – ebenso wie den Erzähler.
Nur wenige Schalker werden den Mai 2001 vergessen: Zunächst diese elende Vierminutenmeister-schaft, die uns der Zahnarzt aus Kaiserslautern am 19. Mai einbrockte und unter der die meisten Schalker jetzt noch leiden, und dann eine Woche später die kleine Wiedergutmachung im Pokalfinale, in dem wir nach zwei Böhmetoren Union Berlin mit 2:0 besiegten. Huub Stevens und die Mannschaft um Olli Reck, Ebbe Sand und Emile Mpenze nahmen nach diesem Sieg, der uns ein wenig über die verpasste deutsche Meisterschaft hinwegtröstete, den verdienten Beifall für eine ganz tolle Saison entgegen.
Bereits vor dem Spiel nahm ich jedoch meinen Beifall entgegen, den ich, wenn ich es genau überlege, auch verdient habe. Ich bin ein alter Hase, der das Glück hatte, bereits fünf Schalkemeisterschaften erlebt zu haben: Die von 1937 im Mutterleib, die drei zwischen 1939 und 1942 im Kleinkindalter und die von 1958 gegen den Hamburger SV live. Live, das heißt, ich könnte die Aufstellung der Meistermannschaft nachts, wenn man mich weckte, ohne zu stocken aufsagen, sozusagen live. Aber wer weckt einen schon nachts aus diesem Grund? Und auch zu normaleren Tageszeiten wurde mein Wissen zu meinem Leidwesen noch nie abgerufen.
Ich will jetzt nicht abschweifen. Es geht also um das Berliner Pokalfinale aus dem Jahre 2001, genauer gesagt, um die Fahrt dorthin. Die S-Bahn zum Olympiastadion war rappelvoll. Die blau-weißen Kuttenträger waren in der Mehrzahl, der Rest trug zumindest blauweiße Schals oder Kappen. Ich, in meiner hellen Windjacke und meiner unscheinbaren grauen Hose, kam mir ziemlich schäbig und verloren vor, und verlegen versuchte ich, den Blicken der singenden Fans auszuweichen. Irgendwann bemerkten sie mich alten Mann, an dem nichts Blaues und als Weißes nur der Bart zu sehen war, und machten sich über mich lustig. „Guck dir den mal an! Wo willst Du denn hin? Wolltest Du nicht eine andere S-Bahn nehmen?“ Ich wiederhole jetzt nur die harmlosen Äußerungen. Irgendwann wurde es mir jedoch zu bunt, ich sammelte meine gesamte Kraft und antwortete, immer noch eingeschüchtert: „Ich bin Schalker!“ Der ganze Wagen lachte schallend. Noch mehr in die Enge getrieben, wagte ich, ein „Ich bin mehr Schalker als ihr!“ herauszustoßen. Die Heiterkeit nahm zu. Wie ein waidwund geschossenes Wild besann ich mich auf meine Schalker Vergangenheit und fragte frech in die Runde: „Wer von euch Neunmalklugen weiß denn, mit welcher Mannschaft wir 1958 deutscher Meister geworden sind?“
„Hä, 1958? Deutscher Meister? Wir?“ So waren die Reaktionen der blauweißen Fans. Mein erstes Ziel war erreicht, ich bekam eine kleine Atempause.
In die atemlose Stille sagte ich, noch mutiger geworden: „Ihr wollt Schalker sein, und ihr kennt die Mannschaftsaufstellung nicht? Ich kenne sie aber!“
Der eine oder andere warf mir anerkennende Blicke zu, und ich merkte, die Stimmung schlug langsam zu meinen Gunsten um. Und jetzt wollte ich die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und sprach den, der vorher am lustigsten war, dreist an und forderte ihn auf, die Aufstellung zu sagen. Er reagierte, wie ich es erhoffte, und sagte, leicht verunsichert: „Sag Du sie doch, falls du die Aufstellung wirklich kennst!“ Endlich war es so weit, der langersehnte Augenblick war gekommen. Ich konnte mein Wissen an den Mann bringen.
Ich brauchte mich überhaupt nicht zu konzentrieren. Ich kannte sie, lehnte mich locker zurück, und langsam, aber flüssig nannte ich, wie es sich gehört, alle Spielernamen, vom Torwart bis zum Linksaußen. Erst war es mäuschenstill, dann tobte der Wagen, ich bekam Szenenapplaus, und der anschließende Sieg gegen Union war für mich nur noch das Sahnehäubchen auf einen wunderschönen Tag.
Und jetzt wollt Ihr sicher die 58er Aufstellung wissen. Ja gut. Ich kenne sie immer noch, lehne mich noch einmal locker zurück und schreibe: Orzessek, Sadlowski, Brocker, Borutta, Otto Laszig, Karnhof, Koslowski, Kördel, Siebert, Kreuz, Klodt.
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
Auch nach dem gerade erlebten Pokalfinale 10 Jahre später eine wunderbare Geschichte. Es muß halt nicht immer das aktuellste Outfit a la Ultrabeauty sein, um seine Schalker Verbundenheit zu dokumentieren. Hier zählen dann auch mehr die sogenannten inneren Werte.
Die Geschichte und wie du sie erzählst gefällt mir sehr gut! Danke!
Die Namen lerne ich jetzt sofort auswendig, die hätte ich nicht alle auf die Reihe gekriegt – Respekt.
Mein Gatte und ich waren zu diesem Endspiel ebenfalls in Berlin und sind mit der S-Bahn aus Neukölln zum Stadion gefahren, die weniger Blau sondern reichlich Rot gefüllt war. Gelacht haben wir aber auch ohne Ende und zwar alle gemeinsam, denn diese roten Perücken der Unioner wurden zu Wanderpokalen und jedem mal aufs Haupt gestülpt. Gegenwehr zwecklos. Und damit konnte ja wirklich niemand einen Schönheitspreis gewinnen. Doch, die Stimmung war an diesem ganzen Tag wirklich außerordendlich gut.
Eine schöne, gut erzählte Geschichte.
ganz, ganz feine Geschichte !
Es spricht für unseren Verein, solch treue Fans zu haben.
Ich bin mal wieder stolz, zur Schalke-Familie zu gehören……….
genauso wie Marcello!