Die immer neuen Leiden des alten S.

„Schmiddy“ fährt seit den frühen achtzigern mehr oder weniger regelmäßig zu den Spielen, hat einen der ältesten Fanclubs mitbegründet, DK in Block 2, Raucher, Schwimmer, Führerscheininhaber, Beamter, Wanderer, Vater, Deutscher, Europäer, Pantheist, Hesse, Hase im chinesischen Sternzeichen, Widder im anderen, Wähler, Manchmalnixkapierer, Frauenversteher, Videofreak, Buchleser und Schalker.

Was so in den letzten Monaten passiert ist und wie das so ankommt bei einem, der schon viel erlebt hat mit seinem FCS04.


Es ist überwiegend traurig allerorten, was da im letzten halben Jahr in und um den Verein, meinen Verein, so geschehen ist, aktuell geschieht und wahrscheinlich unvermeidlicher weise an allen Fronten noch geschehen wird. Ich leide. Immer noch. Immer wieder. Will ich gar nicht, tu es aber trotzdem.

Jammern auf hohem Niveau? Mitnichten, denn es gehen Dinge den berühmten Bach hinunter, die mir persönlich wichtig sind, wichtig waren, die das eigentliche Schalke, so wie ich es lieb(t)e, ausmach(t)en. So wird das hier eine sehr subjektive Geschichte, nichts liegt mir ferner, als meine Sichtweise der Dinge und Klagen einem anderen Schalker als die Wahrheit und den wahrhaftigen und einzig richtige Sichtweise auf zu oktroyieren.

Dennoch und obschon ist es mir ein Bedürfnis, Finger in Wunden zu legen und zu puhlen, auch in meinen eigenen Geschwüren, vielleicht hilft es ja, ein Stück weiterzukommen, so rein persönlich. Schalke, das war immer wie ein Puzzle, die Teile passten ineinander, mal besser, mal schlechter, manchmal musste man auch mit dem Hammer nachhelfen, damit die Teile ineinander passten, aber es gab am Schluss ein mehr oder weniger homogenes blauweißes Bild ab. Inzwischen sind aus den Teilen aber hier und da Kreise geworden, die so gar nicht mehr zusammenpassen wollen. Manche Teile haben sich zu größeren Kreisen verbunden und haben so gar keine Bestrebungen mehr, Nupsis zu anderen Teilen auszubilden. Für jeden Feld-, Wald- und Wiesenverein der Anfang vom Ende. So driftet man auseinander, Klüfte werden immer breiter und bald reicht auch kein Antimaterieantrieb mehr, um die unglaublichen Entfernungen zwischen den Galaxien zu überbrücken.

Zeit, sich mal ausgiebig fremd und eigen zu schämen. Ja, schämen sage ich, weil mir kein anderes Wort für den Status Quo, für den gefühlten Schwebezustand einfallen will, in dem sich mein augenblickliches Schalkedasein befindet. Und ich schäme mich nicht gegenüber der Presse oder anderen Fans, sondern ich schäme mich, weil ich und wir es anscheinend nicht mehr schaffen, vernünftig miteinander umzugehen, weil wir es nicht mehr schaffen, uns untereinander wenigstens zu respektieren, weil wir es nicht mehr schaffen, ein homogenes Bild darzustellen. Denn das ist es, was uns in schwierigen Zeiten immer stark gemacht hat.

Schäm dich, SFCV!
Ich fang mal mit dem Puzzleteil an, welches meiner Meinung nach die größte Bestrebung hat, ein perfekter Kreis zu werden. Ich bin nun nicht der große Insider, was Fanclubarbeit betrifft, kann aber sehr wohl das Auftreten der Vertreter des SFCV in den Medien und auf Veranstaltungen, die ich besucht habe, für mich interpretieren. So beispielsweise geschehen auf einer Veranstaltung, die den Namen „offene Gesprächsrunde“ trug und im Januar stattfand und die ab nun „regelmäßig stattfinden soll(te).. Einzelne Aussagen dort zum unsäglichen Thema Viagogo hörten sich so gar nicht mehr nach Fanvertretung an, eher mehr nach stromlinienförmigem Beklatschen der Vereinssicht.
Komisch auch die undurchsichtige Verquickung von SFCV und der Fanabteilung, die direkt zum Verein gehört, mit teilweise denselben Protagonisten. Man beißt halt nicht die Hand, die einen füttert und am Leben hält. Leider hat das so gar nichts mehr mit Wahrung von Faninteressen zu tun. Der SFCV sollte eigentlich von unten nach oben funktionieren, leider ist es wohl genau anders herum. Schade eigentlich.
Was an diesem Abend vom Vorstand an die Anwesenden transportiert wurde, war größtenteils Selbstgefälligkeit und Ignoranz der den Anwesenden wichtigen Themen gegenüber. Nicht von allen, aber doch überwiegend. Ich möchte da garkeinen persönlich herauspicken, aber Fan- und Basisarbeit und vor allen Selbstreflektion an so einem Abend geht anders. Auf mich wirkte es uninspiriert, unvorbereitet und ja, teilweise arrogant.
Aber wie soll sich dort auch etwas anderes entwickeln, schließlich ist der gemeine Fan in einem gemeinem Fanclub nur an einem interessiert: Karten. Und hier hat der SFCV/ die Fanabteilung/ die Familie/ die GmbH/ der Verein (so genau lässt sich dieses Konstrukt für mich nicht durchschauen, vielleicht erklärt mir ja mal einer die hierzu die Welt) alle Trümpfe in der Hand. Da fällt es schwer, von unten aus einem Fanclub, der zwei-, dreimal im Jahr nen Bus chartert und einfach nur Spaß haben will, Druck aufzubauen, die Angst besteht, man könnte bei einer Zuteilung ja mal leer ausgehen, zufällig. Obwohl einem das ein oder andere in der Organisation schon stinkt. Überhaupt scheint das Interesse für Vereinspolitik und deren Mitbestimmung eher gering zu sein und mit der geographischen Entfernung abzunehmen. Einerseits durchaus verständlich, andererseits fatal und den bestehenden verkrusteten Strukturen mehr als zuträglich. Gerade die großen, mitgliederstarken Fanclubs könnten und müssten aus meiner Sicht weitaus mehr bewegen, wenn man denn nur will.

Schäm dich, Peter Peters!
Irgendwann im Oktober letztes Jahr flatterte per elektronischer Post eine Einladung zu einem zu bildenden Kartenpreisausschuss in mein Postfach. Prima, denke ich, es tut sich was, da gehste mal hin. Peter ist anwesend, trägt seine Sicht der Dinge zu den Kartenpreisen, deren Verteilung und Struktur vor und verspricht, sich konstruktiven Anregungen nicht zu verschließen, er sehe jedoch wenig Spielraum und noch weniger Alternativen zum bestehenden Modell. Aha. Der Abend wird zu einer Art Sammelsurium von verschiedenen Wünschen und Hoffnungen der anwesenden Fans. So richtig Produktives kommt nicht dabei heraus, war aber auch nicht Ziel der Veranstaltung. Mit einem guten Gefühl geht man trotzdem nicht weg, eher hat man den Eindruck, auf einer Volksbeschwichtigungsveranstaltung gewesen zu sein, so nach dem Motto: „Musste halt sein, war ja versprochen“. Versprochen wurde auch, zeitnah ein Protokoll des Abends zu verteilen und einen Folgetermin bekanntzugeben. Nun ist zeitnah ja relativ, bis zum heutigen Tage gibt’s jedenfalls keines. Statt Protokoll und Folgetermin gab es dann die Bekanntgabe des Viagogo-Deals. Honi soit qui mal y pense.

Die Fortsetzung folgte im Januar, ich denke, na gut, gib ihnen eine Chance, vielleicht wird’s ja besser als die erste Veranstaltung. Erlebt habe ich dann eine Art Businesspräsentation, sehr professionell gedacht, aber laienhaft dargestellt, sprich Folien vorgelesen. Zahlen werden an die Wand geworfen, große, erschreckende Zahlen. Die präsentierende Finanzdame bezeichnet die präsentierten Werte mit Begriffen, die mich als Durchschnittsfan erschlagen, Kartenpreise und deren Strukturen als Stellschrauben, an denen gedreht würde. Mir ist schlecht vom vielen Kopfschütteln. Jedenfalls hatte Schnusi Unrecht, wir sind nach neuem Plan jetzt doch 2022 schuldenfrei. Hurra.
Es geht in die Diskussion, die Anwesenden beschäftigt natürlich zu allererst der Viagogo-Deal. Alexander Jobst steht hierzu Rede und Antwort, man hat aber immer das Gefühl, dass er die Bedenken der Fans aus seiner Warte gar nicht versteht oder verstehen kann. Die Diskussion wird schärfer, Peter hängt sich rein, er spricht von „Diskussion auf Augenhöhe“, „Stellschrauben“, von „alternativlosen Wegen“, „wenn das die Mitglieder nicht so wollen, sollen sie es in den entsprechen Gremien äußern, dann ändern wir was! Wir sehen keine Alternative zum aktuellen Kurs, wenn wir unsere Ziele hinsichtlich der Infrastruktur, CL, sportlich erreichen wollen. Das wollen wir alle.“. Ich denke, das kann doch gar nicht wahr sein, aber es geht noch weiter. „Glaubt doch bitte nicht, dass es mein Ziel ist, das Publikum auszutauschen! Das wollen wir alle nicht! Aber das ist ein natürlicher Prozess!“ Auf die Frage, ob man bei den Wahnsinnspreisen denn nicht auch mal an die Einkommensstruktur der Region denken und Rücksicht nehmen sollte: “ Gottseidank ist Schalke ein in ganz Deutschland und Europa bekannter Verein. Unsere Zuschauer haben eine durchschnittliche Anreise von über 100 km. Daher braucht man auf die Kaufkraft in unserer strukturschwachen Region bei der Preisgestaltung keine Rücksicht zu nehmen“. Zur Dauerkartensituation: „Was glaubt ihr, von wie vielen Leuten ich angesprochen werde wegen DKs in den höchsten Kategorien. Die meckern mich an, weil ich keine habe. Und die würden noch viel mehr zahlen, fragen mich, ob Schalke denn kein Geld braucht“. Hanebüchen, wenn man hört, wie im Sommer DK in den höchsten Kategorien teilweise wie Sauerbier angeboten wurden, von der wieder geöffneten Warteliste und deren prompten Abarbeitung in hohen Kategorien mal ganz abgesehen.

Mit großem Tamtam und Architektenwettbewerb und pipapo wurde das „Tor auf Schalke“ vorgestellt. Juhu. Dass wir ein Amateurstadion brauchen und eigentlich längst haben müssten, ist völlig unstrittig. Vielleicht auch noch einen größeren Fanshop, gut. Aber ich persönlich finde den Rest der vorgestellten Pläne überkandidelt, protzig und obsolet. Das Amateurstadion könnte längst stehen, finde ich, auch ohne Architektenwettbewerb. Die Finanzierung des Ganzen stehe auch noch in den Sternen, sagt Peter. Vielleicht lege man ja einfach eine neue Anleihe auf. Wunderbar.
Aber im Geldausgeben, was wir nicht haben oder irgendwann mal einnehmen, sind wir eh Ligaspitze. An wen erinnert mich das bloß? Wir haben grundsätzlich eigentlich überhaupt kein Einnahmenproblem, wir haben ein gewaltiges, massives Ausgabenproblem. Aber 2022, da wird alles gut.

Schäm dich, Alexander Jobst!
Marketing hatter drauf, hatter im Blut, der Alexander. Nüchtern betrachtet macht er tatsächlich einen mehr als guten Job, generiert neue Sponsoren, schafft Nachhaltigkeit, macht ein wenig unabhängiger vom sportlichen Erfolg. Soweit alles in Ordnung. Leider tut er dabei auch Dinge, die so gar nicht in mein Schalker Weltbild passen. Man kann eben nicht einerseits mit großem Tamtam und herzergreifend ein Leitbild präsentieren, dass dem Fußballromantiker Tränchen der Freude ins Auge treibt und das Volk auf längst verloren geglaubte Werte einschwört, andererseits aber genau diese Werte bei der ersten Gelegenheit mit Füßen treten. Genau dies hat er aber mit dem Viagogo-Deal getan. Wenn wir uns also schon gewisse Richtlinien geben, die unser Miteinander im Verein betreffen, dann gelten die auch bitteschön für alle und nicht nur fürs dumme Fußvolk. Wir sind ja keine Animal-Farm, wo manche gleicher sind als andere. Fußballromantik und Folklore pekuniär auszuschlachten sind wir ja gewohnt, macht nicht nur Schalke, geschenkt. In diesem Falle allerdings ist er weit übers Ziel hinaus geschossen. Da nutzen auch verniedlichende Phrasen wie „in den nächsten Jahren werden alle Bundesligisten diese Plattform nutzen“ und „es sind ja nur 300 Karten, keine Steher“ und „wir haben keine Kapazitäten, den Schwarzhandel effektiv zu bekämpfen“. Nein, so geht’s beim besten Willen nicht. Wenn Schalke wirklich auf die kolportierten 1,3 Mio. pro Jahr vital angewiesen ist, läuft an ganz anderen Stellen eine Menge falsch. Womit wir wieder beim Ausgabenproblem sind. Also, Herr Jobst, mal kurz drüber nachdenken, bittesehr.

Schäm dich, Clemens Tönnies!
Dem Clemens glaube ich wirklich, dass er mit Herzblut dabei ist. Nichtsdestotrotz schäme ich mich bei seinen Aussagen meist am Dollsten. Exemplarisch: „Ich habe keine Lust auf Platz 7 oder 8, Horst, hol mal neue Spieler“. Als ich das las, entfuhr mir erst mal ein Zischen, gefolgt von einem Seufzer. Muss man denn immer „den Dicken raushängen“ lassen? Gut, wir sind meinetwegen der zweitgrößte deutsche Sportverein, wahrscheinlich sogar auch abzüglich der nichtprofessionellen und professionellen Kartenaufkäufer. Das impliziert aber nicht zwangsweise, auch der zweitarroganteste zu sein. Bodenständig, wie sich der Clemens sonst so gibt, ist das jedenfalls nicht.

Schäm dich, Aufsichtsrat!
Bei zwei Veranstaltungen zum Thema „Wie geht’s weiter in der Fanszene“ oder so waren auch Mitglieder des Aufsichtsrates anwesend, die ursprünglich mal als eine Art Fanvertreter eben dorthin gewählt wurden. Auf einer dieser Veranstaltungen schilderte eines dieser Mitglieder, wie der Aufsichtsrat vom Viagogo-Deal erfuhr und über diesen zu entscheiden hatte. Seiner Schilderung nach war das ganze Prozedere eine Sache von ungefähr 15 Minuten, dann sollte bitte sehr genickt werden. Der Aufsichtsrat nickte, nach 15 Minuten, inklusive der beiden Fanvertreter. Da frage ich mich dann schon, ob der Aufsichtsrat in 15 Minuten seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. Ob die gewählten Vertreter der Fans das in 15 Minuten aus Fansicht beurteilt haben. Ich frage mich, warum man sich so überfahren lässt und nicht einfach mal die Eier hat, zumindest eine Nacht über ein solch heikles, sensibles und brisantes Thema zu schlafen. Gruppendruck, dynamischer Prozess oder was? Wird man dort schneller assimiliert als man denkt? Wir sind Aufsichtsrat, Widerstand ist zwecklos?
Der Beschluss fiel einstimmig. Einstimmig positiv zum Deal. Wunderbar. Ebenso einstimmig sprach sich übrigens auch der Vorstand des SFCV für den Deal aus, nur mal eben am Rande. Nach diesen geschilderten Eindrücken kann man sich ungefähr vorstellen, wie die Arbeit im Aufsichtsrat so grundsätzlich aussieht und in der Vergangenheit aussah. Dann erscheinen so einige Entscheidungen der Vergangenheit plötzlich in einem anderen Licht. Ich verstehe nicht, wozu man überhaupt einen Aufsichtsrat braucht, außer um auf dem Papier den Statuten zu entsprechen, wenn der Aufsichtsrat tatsächlich nur ein Abnickrat ist.

Schäm dich, Schalker Kreisel!
Wenn er kommt, der Kreisel, wird er höchstens mal durchgeblättert, neue Infos stehen da eh nicht drin, außer, wenn die Bilanz ansteht. Was allerdings den Derby-Kreisel angeht, flog der in hohem Bogen vom Postkasten direkt undurchgeblättert in den Papiermüll. Liebe Redaktion, dieses Titelbild geht garnicht, in keinster Weise, ist inakzeptabel. Ich ärgere mich seit Jahren über irgendwelche Publikationen seitens des Vereins im Vorfeld der Derbys und dann noch sowas, auch noch mit nem Meisterschal auf den Schultern des unlustigen Promi-Zeckenfans. Baaaah. Das alles vor dem Hintergrund der Vorfälle beim Auswärtsspiel, nein, danke. Deeskalation schön und gut, dann aber auch von beiden Seiten. Da hat sich der Gegner in den vergangenen Jahren ja immer vorbildlich verhalten, gell? Und wir erlauben sogar noch das Aufhängen von echter Liebe am Gästeeingang. Schön blöd.

Schäm dich, Fanszene!
Hier genügen einige Sätze. Mein Eindruck ist, dass man sich in den vergangen Jahren bequem auf den vorhandenen Strukturen eingerichtet hat. Man hat alles fast widerstandslos über sich ergehen lassen, bequeme Ohnmacht quasi. Man hat ohne zu hinterfragen oder gar zu bewegen nur noch hingenommen. Eine dynamische Fanszene sieht anders aus. Wie war das gleich noch mit dem Bewahren der Asche?
Allerdings darf man durchaus Hoffnung haben, dass sich was ändert. Erste Aktionen zeigen, dass hier und da doch noch ein Pflänzchen blüht. Das Engagement der Jungs, die sich um die außerordentliche JHV bemühen, um den Deal zu kippen, sei hier exemplarisch erwähnt, auch wenn sie hier und da übers Ziel hinausschießen.

Schäm dich, Arenapublikum!
Ich habe bei zwei Heimspielen Tränen vergossen, leider keine Freudentränen. Zum einen war es das Heimspiel gegen die 1tr8 mit der unsäglichen (und dummen, weil Bärendienst) Pyroaktion. Die Reaktion des Publikums, vor allem in der Kurve (in der Kurve!) trieben mir Tränen der Wut und Tränen der Enttäuschung in die Augen. „Wir sind Schalker und ihr nicht!“. Unbeschreiblich. Man kann zu dieser Aktion stehen wie man will, die Reaktion darauf war deutlich dümmer, unreflektierter und armseliger als die Aktion selbst. Eine Bankrotterklärung, eine Keiltreibung, eine Aufgabe der selbst forcierten Werte des Leitbildes, was vorher so beklatscht wurde. Das Spielergebnis war mir danach sowas von egal, so elend habe ich mich nicht mal nach einer Derbyniederlage gefühlt.
Zum anderen war es das Heimspiel, als die Ultras „Peters raus!“ brüllten und als Antwort „Ultras raus!“ bekamen, auch aus der Kurve. Man kann zu den Ultras stehen wie man will, eines bleibt Fakt: Sie sind genau wie die letzte Kutte, der einfache Normalfan oder der reiche Pfeffersack in der Loge Teil der Schalker Familie. Sie opfern mehr Zeit, Geld und Hingabe als die meisten von uns allen für den Verein. Wie sie das tun und ob man das gut findet, steht auf einem anderen Blatt, muss man für sich selbst beantworten. Aber bitte sehr: Wie war das nochmal mit dem Respekt?
Wenn man dann beim Derby sieht und vor allem hört, was in der Arena möglich ist, wo auf einmal alles und jeder alles geben kann, versteht man den Rest der Heimspielsaison noch weniger.
Schäm dich, Mannschaft!
Ach, schäm dich einfach. Ist mir zu blöde, immer wieder zu sehen und zu kommentieren, was man zu leisten imstande ist, wenn man nur will und persönliche Eitelkeiten nicht in den Vordergrund stellt. Für mich gibt’s momentan auch Wichtigeres.

Schäm dich, Schmiddy!
Ja, zum Schluss schäm ich mich einfach selber. Schäme mich dafür, einfach mich genauso bequem auf allem ausgeruht zu haben und zu wenig bis gar nichts getan habe, an den vorhandenen Problemen, außer hier und da mal lustige Geschichten zu schreiben. Warum eigentlich? Weiß ich selber nicht, war halt bequem.

So, genug geschämt. Oder zu wenig? Wie gesagt, sicherlich nicht mit dem umfassenden Anspruch und rein subjektiv. Und wer ist nun schuld an der augenblicklichen desaströsen Situation? Weil einen braucht man doch, auf den man es schieben kann. Dem hauen wir dann nen Sack Schrauben vor den Kopp, bis er wieder funktioniert und alles ist gut. Leider aber ist es nicht so einfach. Was sich über Jahrzehnte eingeschliffen hat, kann sich nicht mit einigen kurzfristig wirkenden Pflastern und Verbänden heilen lassen. Hier ist Arbeit mit Perspektive vonnöten, hier muss wieder Vertrauen aufgebaut werden, man muss sich auf eigene, durchaus noch vorhandene Stärken besinnen und neu anfangen, unten anfangen, mit neuen Strukturen, unverbrauchten Menschen mit unverdorbenem Herzblut. Erste ernstzunehmende Ansätze sind bereits erkennbar, wie es weitergehen wird, hängt wohl maßgeblich vom Verlauf der anstehenden ordentlichen JHV und deren Verlauf ab. Hier gilt es eindeutige Zeichen zu setzen. Sehr eindeutige.

Manche, mit denen ich gesprochen habe über die letzten Entwicklungen, meinen, dass wir uns jetzt schon nicht mehr unterscheiden von irgendwelchen anderen Vereinen. Wir seien austauschbar, was die Fanszene und das Publikum betrifft. Beim Arenapublikum gebe ich ihnen Recht, das ist auf seine Art schlimmer als das Volk im Schlauchboot im Süden. Heimspiele machen nur noch begrenzt Spaß. Bei der Fanszene bin ich mir nicht so sicher, dass sich da in absehbarer Zeit nicht vielleicht doch eine selbstreinigende Kraft entwickelt. Man darf durchaus hoffen. Wenigstens einmal noch hoffen.

Ich persönlich fühle mich wie auf einer offenen Plattform eines fahrenden Zuges, will aussteigen, der Zug beschleunigt immer mehr, ich werde immer mehr in Richtung Trittbrett gedrückt und schaffe es doch nicht, abzuspringen. Irgendwann falle ich bei voller Fahrt raus und lande nicht bequem auf dem Bahnsteig, sondern irgendwo auf freiem Feld und wie ich mein Glück kenne, mitten in nem Brombeergestrüpp. Der Weg zurück mit den ganzen Platzwunden wird bestimmt toll.

Und dann gibt es sie doch, die Lichter in der Finsternis, die mich weiter glauben lassen, dass es sowas wie die Schalker Familie noch gibt. Vielleicht haben sich auch nur die Dimensionen verschoben, nach den ganzen Fangenerationen und die Familie funktioniert nur noch im Kleinen, im erweiterten persönlichen Umfeld.

Ich fahre also mit meinem Kumpel Achim mit dem Zug auf Schalke, die berühmte Asi-Tour. Wir kehren im Anno ein, hier fühlen wir uns wohl, treffen den Andreas. Wir reden zu dritt ein wenig, so über Bekannte und auf einmal sagt Achim, wir müssten eigentlich mal was für unseren Wahl-Italiener tun. Dem geht es nicht so gut, er ist so weit weg etc. Ob wir dem nicht mal ein Wochenende auf Schalke spendieren wollten. Gesagt, getan, wir schreiben in der folgenden Woche gemeinsame Bekannte zwecks einzuholender Spenden an. Das Echo ist überwältigend, wir bekommen Spenden über Spenden. So wird unser Kumpel also am vorletzten Spieltagwochenende in Köln einschweben und mit uns ein nettes Wochenende verbringen, mit allem drum und dran. Danke dafür, Leute, ihr seid Spitze! Von dem Wochenende werde ich berichten, oder vielleicht besser auch nicht.

Jedenfalls zeigt das letztgeschilderte, dass es noch funktioniert, vielleicht auch nur im Kleinen, Stillen. Aber warum sollte das nicht transportierbar sein, auf größere, breitere Ebenen? Dass wir uns auf uns selbst besinnen, dass wir vielleicht einfach alle noch ein einziges Mal stolz den Kopf hochnehmen und nicht einfach aufgeben und resignieren sollten. Ich persönlich habe mich entschlossen, mich nochmal aufzuraffen und was zu tun. Wie das konkret aussieht, weiß ich nicht, jedenfalls erscheint es mir zusammen mit der größten unabhängigen Fanorganisation am erfolgversprechendsten. Machen statt nur meckern ist angesagt.

Auch Kämpfe, die vielleicht gegen Windmühlen geführt werden, so frustrierend das auch sein mag, sind immer noch Kämpfe. Und wer kämpft, der lebt. Noch.


„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.

11 Antworten zu “Die immer neuen Leiden des alten S.

  1. Ach Schmiddy, du sprichst/schreibst mir aus der Seele…

  2. klasse respekt hut ab

  3. Treffender hätte man es nicht beschreiben können. Und Schuld sind wohl alle ein wenig. Man sieht sich im Anno.

  4. PUNKTLANDUNG. DANKE!

  5. Super Beitrag !!!

  6. Ich bewundere immer wieder Leute, die die Themen auf Schalke so treffend zu Papier bringen können. Bis auf den Punkt mit der geographischen Entfernung und dem Interesse an der Vereinspolitik und Mitbestimmung kann ich das Papier so unterschreiben.
    Ich wohne selbst nicht gerade um die Ecke von der Grenzstrasse und kenne in Norddeutschland viele interessierte Schalker. Wir haben einfach nicht die Möglichkeit ohne großen finanziellen & zeitlichen Aufwand an den Infoveranstaltungen teilzunehmen. Aus diesem Grund schätzen wir die sehr gute Kommunikation im Supporters Club sowie den Verfassern solcher Texte!

    Glück auf
    Wattwurm

  7. W. Junghans Fliegenfänger

    Die typische Block 5-Polemik. Alles wie immer.

  8. Pingback: Die immer neuen Leiden des alten S. | Fanecho Bundesliga

  9. Da steckt sehr viel Wahrheit drin.
    Sehr guter Beitrag!

  10. Perfekt auf den Punkt gebracht ! Hut ab . Es sollten alle mal darüber nachdenken was im Moment abläuft. Ich würde mir wünschen, dass mehr so Klartext geredet und geschrieben wird und dass endlich vernünftige Strukturen geschaffen werden. Jeder sollte seine persönlichen Eitelkeiten mal hinten anstellen und das Thema „Schalker Familie“ mehr in den Vordergrund stellen. Wir sollten schnellstens wieder in allen Bereichen an einem Strang ziehen und uns auf den FC Schalke 04 konzentrieren und nicht auf eigene interne Kriegsschauplätze. Ist ja fürchterlich mit anzusehen. Wenn wir dieses Ziel erreichen stellt sich auch automatisch der Erfolg wieder ein auch sportlich.
    Ich denke mit mehr solcher Ansichten sollte dieses möglich sein.

    Glück auf
    ´
    aus Block 42

  11. Der Autor hat es selbst erwähnt: Es ist Jammern auf hohem Niveau. Ich kann mich in einigen Attributen – die dem Autor anhaften – wiederfinden (Vater, Buchleser. Wanderer, Schalker, Beamter). Das Letztgenannte läßt in mir den Verdacht aufkommen, dass S. Veränderungen kritisch gegenüber steht. Der Fussball hat sich dramatisch verändert. Zum Glück nicht dort, wo es zählt (zwischen Anpfiff und Abpfiff) sondern drumherum. Ich kenne Leute, die haben noch vor 15 Jahren gefragt, warum man denn nicht jedem der 22 Jungs einen Ball gibt. Die sitzen heute an den Schaltstellen und haben nicht mehr den örtlichen Tennisclub oder den Golfplatz als „Kontakthof“, sondern die Logenplätze in den Arenen. Fussball ist das Top-Event unserer Epoche. Da ist für Schalke-Folklore nicht mehr viel Raum. Das kann man bedauern, aber wir sind gut beraten, den Trend zu nutzen, sonst fährt der Zug ohne Schalke weiter.

    Als Buchleser kennt S. den Klassiker von Max Frisch (Stiller). Dieser macht in dem Roman einen ähnlichen Rundumschlag wie S. mit dem Schämen. Wenn sich alle schämen müssen, dann lieber keiner. Wenn im Kino einer aufsteht, um besser zu sehen, stehen alle auf und keiner sieht besser als zuvor.

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