Kathrin Wegmann lebt in der Rheinländischen Diaspora und ist oft unterwegs mit den „RheinPOTT-Kanaken“.
Ein fiktiver Text, der vielen so fiktiv gar nicht vorkommen wird und der beschreibt, wie es ist in der Kurve, in der man da zusammen steht.
Ich stehe im Stadion, in meinem Stadion. Ein Pappbecher mit Bier in der Hand, das Trikot an, den Schal um den Hals. Die Stimmung ist angespannt vor dem Anpfiff und jeder sucht sich seinen Platz. Den Platz in der Kurve wie es in einem unserer Lieder heißt. Lieder sind für mich ein wichtiger Bestandteil des Rituals „Samstag is Fußball“. Lieder verbinden uns, uns Fans. Das ist es, was man da spürt, mit seinem Schal und seinem Bier in der Kurve inmitten von tausenden Gleichgesinnten. Tausend Freunde die zusammen stehn, die letzte Strophe unseres Vereinsliedes. Meine Lieblingsstrophe.
Ich schreie sie raus in das Stadionrund so dass auch der hinterletzte gegnerische Fan auf der andern Seite es hört „1000 FREEEEUNDE DIE ZUSAMMEN STEHN, ZUSAMMEN STEEEEHN…“ ja da kriegt ihr Schiss, was? Dabei lasse ich den Blick schweifen und schaue sie mir an, meine 1000 Freunde.
Neben mir stehen zwei Pärchen, alle Vier in Kutte. Die beiden Herren haben diverse verblasste Tätowierungen (Tribals, Maschendraht, Vereinslogo, das volle Programm) und einer von ihnen zeigt beim Singen stolz die vergilbten und nur noch unvollständigen Zähne. Der andere hat sich für eine gewagte Blondierung in seinem an den Seiten kurz rasierten, dafür im Nacken umso längeren Haar entschieden. Die beiden Damen geben Phrasen von sich, die mit der Mannschaft und den Regeln zu tun haben „und so“. Sie missbrauchen dabei die deutsche Grammatik in so atemberaubender Art und Weise, dass einem ganz anders wird. Stilecht werden die Damen während der Halbzeit gefühlte 56 Mal Bier holen geschickt, welches dann bei jedem Tor oder Foul oder sonstigem Grund zum Aufschrei über den Köpfen der Umstehenden verteilt wird.
Wenn ich mich umdrehe steht da ein Trupp Mitfünfziger, reichlich angetrunken von der Fahrt im Fanbus und fest davon überzeugt, dass ich genau in ihr Beuteschema passe. Nicht kleckern, klotzen heißt hier die Devise und der Satz „Na Kleine, alleine hier?“ in meinem Stadion, in meiner Kurve gibt mir fast den Rest. Das tut dann aber die kleine Tochter des Typen eine Reihe vor mir. Der Vater betet ihr, geschmückt mit sämtlichen Superlativen, bereits seit 20 Minuten gebetsmühlenartig die Stars auf dem Platz runter und jaaaaa auch Franz Beckenbauer ist im Stadion, aber das interessiert hier doch wirklich niemanden, am wenigsten die Kleine. Und als mir bei ihrem Anblick gerade Wörter wie Lethargie und Wachkoma in den Sinn kommen, flippt das Mädel völlig aus. Grund hierfür ist nicht etwa die ein oder andere Person auf dem Platz oder der überhaupt geilste Club der Welt, nein der Wachtrupp geht unten an der Bande vorbei und sie schreit „Papa, Papa kuck mal HUNDE!!!!“. Na super…
So, Halbzeit, ab aufs Klo und mit diversen mehr oder weniger stark angetrunkenen Damen in einer Schlange warten, ein Vergnügen bei dem man gleich die neusten Gerüchte über das Liebesleben der Spieler erfährt aber auch bewundern kann, dass die neusten Schminktipps aus der Brigitte in Wirklichkeit einfach nicht funktionieren. Schnell noch ein Bier und zurück zu meinen 1000 Freunden.
2.Halbzeit; Alle singen sich wieder ein. Die Gesichter um mich herum haben sich verändert, ein großer Vorteil bei einem Stehplatz. Vor mir steht Jupp, wie ich noch vor dem Wiederanpfiff erfahre. Jupp hat LOVE und HATE auf seinen Fingern tätowiert und einen Punkt unter dem linken Auge. Das macht mich natürlich neugierig, also direkt raus damit „Jupp watt is datt fürn Punkt am Auge?“. Jupp war im Knast, da hat er den Punkt her. Vom Kalle der mit ihm in der Zelle saß. Der hat ihm auch die Finger gestochen, mit nem Zirkel- der Klassiker. Warum Jupp saß? Er hat seine Olle mit nem anderen erwischt. Da hat er ihr das Esszimmer tapeziert „wenn du verstehst was ich meine und ihm seins gleich mit“. Aha, ich mach mal nen halben Schritt zurück. Jupp erzählt schon weiter, dass er da ja nix für konnte, verdammt, und er war so wütend und überhaupt. Gut, und dann kam da noch der ein oder andere Diebstahl zu, aber dazu haben seine Kumpels ihn überredet und im Knast hat er sich dann geändert, echt komplett verändert „das musst du mir glauben“. Und jetzt hat er nur noch den Fußball, da fühlt er sich wohl. Da ist er nicht allein.
Die beiden älteren Herren neben uns lauschen der Geschichte mit einem Ohr. Mit dem Mund sind sie damit beschäftigt über alles und jeden auf dem Platz her zu ziehen. Und die Trainingsmethoden und die Komerzscheiße im Fußball und „früher hätte es das nicht gegeben! Wenn die jetzt für ihr Geld nicht mal langsam was tun… EYYYY, den hätte sogar ich rein gemacht!!!“ Grundsympatisch die Herren.
Findet auch Uschi neben mir, die seit geraumer Zeit die Haarwäsche eingestellt haben muss, so strähnig hängen diese runter und an der die Erfindung des Deorollers unbemerkt vorbeigegangen ist, wie sie bei jedem Jubel durch dynamisches Armehochreißen beweist.
Und plötzlich ist es still und alle starren gebannt auf das Feld, wir haben den Ball und stürmen auf das Tor. Und während die beiden älteren Herren noch brüllen, wer zur Hölle alles frei steht, versenkt unser Stürmer den Ball volles Rohr in den Winkel: unhaltbar. Und dann liegen wir uns alle in den Armen. Uschi und Jupp, die beiden Alten und auch die beiden Pärchen sehe ich, als ich völlig losgelöst durch den Block springe.
Jeder jubelt, jeder schlägt ein, jeder singt. Als der Jubel langsam verebbt stehe ich auf meinem Platz in der Kurve und schau ins weite Rund und denke bei mir „Jau, datt sind meine 1000 Freunde. Zwar nur am Samstag und nur für 90 Minuten aber da sind se, die besten Freunde der Welt!“
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
…habe ich da etwa eine neue Lieblingsgeschichte?
weltgeil kathrin 😉
rpk-grüße aus bn nach bn!!!
Wunderbar geschrieben, da ist viel Wahres dran.
Nebenbei:
Du hast Talent!
Glückauf, Enatz