Welch ein Glück!

„Nadal 04“ ist seit Jahrzehnten Stadionbesucher, inkl. Dauerkarte. Auswärts trifft man ihn nur noch selten, dann schreit er zuhause gerne mal den Fernseher an.

Manchmal ist man ziemlich weit weg vom Ort des Geschehens und muss sich zu helfen wissen, um doch irgendwie dabei zu sein. Schalke von Ferne.


Das Leben hat vielschichtige Facetten. Der eine verschreibt sich mit Haut und Felgenspray seinem Auto, die andere sieht den Sinn des Lebens in einer immer wieder neuen Unterschiedssuche bei den bereits erworbenen Schuhen zu den eben erblickten im Schaufenster. Welch ein Glücksgefühl dabei entsteht, wenn die neu erblickten Fußkleider tatsächlich nicht zu 100% mit Paar Nr. 54 im Schrank identisch sind und dementsprechend einen Kauf rechtfertigen, können sich viele weibliche Wesen im Detail vorstellen.

Ich kann mir das nicht vorstellen, vielleicht liegt das daran, weil ich ein Mann bin.

Es gibt viele Glücksgefühle in den diversen Situationen. In meiner Jugend war ich glücklich, wenigstens via TV live bei einem Schalke Spiel dabei zu sein. Am 02.05.1984 war ich noch nicht volljährig und hatte dementsprechend keinen Führerschein. Eine Fahrt mitten in der Woche nach Gelsenkirchen mit öffentlichen Verkehrsmitteln undenkbar, am nächsten Tag war ja auch wieder Schule. Dieses legendäre Halbfinale Schalke gegen Bayern 1984 wurde zwar live im Fernsehen übertragen, allerdings nicht von Anfang an. Es blieb nur die Radioübertragung, um auch in der ersten Viertelstunde live auf Ballhöhe zu sein. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, in diesem Fall das ZDF, hatten wohl an diesem Abend gedacht, dass bei einem Fußballspiel in den ersten Minuten sowieso nicht viel passiert. So kam es zu dem skurrilen Ereignis, dass der Reporter Eberhard Figgemeier die eigentliche Live-Übertragung mit dem Nachreichen von zwei Toren beginnen musste. Das hat ihn dann soweit verwirrt, dass er zum Schluss der Übertragung den Satz herausbrachte: „Was dieses fantastische Spiel für den Fußball gebracht hat ist nicht wieder gutzumachen!“ Eigentlich war es nicht wieder gutzumachen, dass das ZDF mit der Übertragung später begann. Aufgrund dieser Tatsache habe ich dann das Radio parallel laufen lassen, weil es ja eh schon lief. Es ist ja nicht nur bekannt, dass Frauen ein innigeres Verhältnis zu Schuhen haben, sondern auch eine gesteigerte Fähigkeit zum Multitasking. Als männlicher Fan hatte ich aber nun ein Problem, die Konzentration auf die Bilder oder den Ton? Nun, natürlich volle Konzentration auf den Live-Ton im Radio mit der emotionalen Berichterstattung von Manni Breuckmann. Als Olaf Thon dann zum 6:6 traf, des Radio Reporters Stimme sich überschlug und die Atmosphäre des Parkstadions sich den Weg zu meinen Ohren bahnten, machte ich etwas total Verbotenes. Ich drehte nach 22:00 Uhr die Stereoanlage bis zum Anschlag auf, welch ein überragendes Glücksgefühl. Die Meckerei aufgrund dieses schlimmen Verstoßes gegen die Hausordnung war mir völlig egal. Dieses Glücksgefühl hielt nach diesem Jahrhundertspiel, wo es auch die vielen Schalker erlebt hatten, noch lange an, so auch bei mir.

Für einige Teile der Menschheit ist die eigene Hochzeit der schönste Tag des Lebens. Vor Rührung heulende Mütter und Schwiegermütter formen sich zu einer Woge des gemeinschaftlichen Glücksgefühls. Dieses durfte auch ich Anfang Juni 1995 erleben. Zum Glück gibt es ja in der Regel nach diesen ganzen Feierlichkeiten mit den bekannten Menschenaufläufen eine Zeit der zweisamen Ruhe auf der Hochzeitsreise – so auch bei uns. Hansestädte der Ostsee – eine Kreuzfahrt auf den Routen der Kaufleute des Mittelalters, weit weg von der Heimat und fast jedem Tag in einem anderen Land. Schweden, Polen, Litauen, Finnland, eine wunderbare kulturelle Vielfalt von völlig unterschiedlichen Nationen. Dann erreichten wir am frühen Morgen des 10.06.1995 St. Petersburg in Russland. Es war wettertechnisch ein schöner, warmer Tag. Die Leute flanierten durch die Straßen und sonnten sich am Ufer der Newa. Bei uns stand nach den Besichtigungen der Innenstadt am Nachmittag das Highlight an, ein Besuch der berühmten Eremitage, dem Museum der Superlative. Ein Festival der alten Meister, Rembrandt, Rubens, Matisse – Bilder, die man aus den Geschichtsbüchern kennt. Einfach wunderbar, wir konnten glücklich sein, diese Exponate sehen zu dürfen, wenn da nicht dieses eigenartige Kribbeln bei mir eingesetzt hätte, je näher es auf die magische Zeit von 15:30 Uhr deutscher Zeit zugegangen wäre. Da war doch noch was? Richtig, die Saison war ja noch nicht beendet und heute spielten wir bei den Nachbarn aus Bochum. Warum fuhr dieser Kahn diese Route nicht später, warum bin ich jetzt hier im fernen Russland, wo meine Schalker das kleine Derby spielen? Eigentlich bin ich ja total bekloppt, ich stehe vor einem Rubens Meisterwerk und denke an die Castroper Straße in Bochum, wo meine Schalker Freunde zurzeit hinfahren. Ich weiß aber definitiv, dass ich dieses Charaktermerkmal nicht für mich alleine gepachtet habe. Dementsprechend war ich froh, wieder auf dem Schiff zu sein und hoffnungsvoll meinen Weltempfänger einzuschalten. Umso größer war die Enttäuschung, als ich auf der kurzen Welle nicht mehr als ein Rauschen vernahm. Verdammt, das darf doch wohl nicht wahr sein. Vielleicht liegt es ja am Standort. Ein Kreuzfahrtschiff ist ja groß, also schnell den Weltempfänger geschnappt und auf Wanderschaft begeben. An mehreren Standorten immer noch kein Erfolg, die Zeit rann dahin. Erst auf dem großen Sonnendeck endlich vernehmbare Stimmen. Unter großem Piepen und Rauschen vernahm ich den Reporter aus Bochum. „Ein hervorragendes Spiel und eine super Leistung…..des VFL Bochum. Folgerichtig steht es 4:1….und nun wieder ein Angriff des VFL – unglaublich, schon wieder ein Tor, Kai Michalke trifft zum 5.1. Wenig später ist das Spiel beendet. Ich blicke auf die Hafenanlagen von St. Petersburg, eben trifft wieder ein neues Kreuzfahrtschiff ein. Die obligatorische russische Blaskapelle intoniert wieder als Begrüßungskomitee eine schmissige Hymne. Ich glaube, die hätten kein Verständnis, wenn ich denen jetzt aus Frust den Weltempfänger vor die Füße knalle. Ich komme zu Besinnung, gleich gibt es wieder ein üppiges Menü, die Reise geht noch ein paar Tage und hier in Russland komme ich nicht in Versuchung mir Fernsehbilder von dem Desaster anzuschauen. Welch ein Glück !

Welch ein Glück, dass ich den Weltempfänger nicht der russischen Blaskapelle vor die Füße geschmissen habe, dachte ich gut 10 Jahre später am 07.08.2005. Die Saison begann wegen der WM 2006 sehr früh und kollidierte mit den Sommerferien in NRW. Schalke gegen Kaiserslautern in der Arena und ich machte Familienurlaub an der belgischen Nordseeküste. Na, dann holen wir halt den Weltempfänger wieder raus. Doch halt, der technische Fortschritt macht sich auch in Belgien bemerkbar. Der lokale Kabelnetzbetreiber machte Werbung für die Vielfalt des Digitalfernsehens und schaltet dafür sogar einen eigenen Kanal frei, wo rund um die Uhr diese Werbung ausgestrahlt wird. Alle 10 Minuten wird eine glückliche Familie gezeigt, die alle Facetten des Digitalfernsehens genießt, so auch Fußball aus dem Ausland. Zwischen diesen Werbeblöcken wird diese Vielfalt Parallel auf dem Monitor gezeigt, um die Leute zu animieren, sofort zu buchen. Für den Nichtbucher bleibt das Micky-Maus Kino. Auf dem 22 Zoll Monitor des Ferienhauses lief an diesem Sonntagabend neben den neusten Filmen und Serien Schalke gegen Kaiserlautern nebenher. Nun sind ca. 10 cm im Quadrat für das menschliche Auge nicht gerade gut zu erkennen, ein Fußballspiel welches auf diesem kleinen Quadrat läuft noch schwieriger. Egal, wir Schalker sind ja leidensfähig. Ich klebe also nicht nur wörtlich am Monitor- und erlebe so das 0:1 durch Halil Altintop. Sekunden später schaltet der belgische Kabelnetzbetreiber wieder auf das Vollbild mit dem Werbespot und der glücklichen Familie. Derbe Flüche übersteht auch dieser Fernseher unbeschadet und weiter geht’s nach einer kurzen Pause mit den kleinen Quadraten. Zweite Halbzeit, Sören Larsen läuft jubelnd durchs Bild, ja, ja – 1:1. 4 Minuten später macht Mladen Krstajic das 2:1. Schluss, Aus, wir haben gewonnen. Die Augen schmerzen aufgrund der ungewohnten Anstrengung, was aber völlig sekundär ist, welch ein Glück überhaupt Bilder von dem Spiel sehen zu können, wenn auch nur Miniaturausgaben.

Wie man an diesen Beispielen sieht ist auch das Glück des Schalke Fans eine Sache der jeweiligen Betrachtungsweise.


„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.

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