Markus Rybacki ist seit seiner Geburt Schalker, keiner weiß warum, und er findet, wer mit blauweißem Blut zur Welt komme, der habe es zwar nicht leicht – aber dafür ein interessantes Leben.
Markus schrieb diese Geschichte über „Fußball nach der Epidemie“ vor etwa 10 Jahren. Bislang passte sie wegen manch phantastischer oder gar abwegiger Vorstellungen nicht recht ins Konzept. Bevor sie nun aber von der Wirklichkeit überholt wird, will ich sie lieber schnell noch endlich veröffentlichen. Nicht dass es nachher heißt, wir hätten’s nicht vorher schon wissen können…
Es ist Dezember. Wir haben mollige 24 Grad Außentemperatur. Ich fliege mit meinem Tragschrauber zum letzten Heimspiel der Vorrunde gegen den amtierenden Deutschen Meister OSC Rheinhausen. Eine Stunde vor Ankunft muss ich schmunzeln, denn ich blicke auf das ehemalige Schalker Vereinsgelände. Dort ist nur noch Wasser zu sehen. Die Erderwärmung hat das Ruhrgebiet zur Küstenzone gemacht.
Meine Ankunft in Erfurt ist etwas holprig, aber die Landebahn auf der Müllhalde liegt halt direkt neben dem Weltnetz-Café, in dem alle Saisonspiele ausgetragen werden. Als Spieler des FC Schalke 04 habe ich mich ja eh schon seit einigen Jahren daran gewöhnt. Igor, Wong und Franz sind schon da. Auf meine Mitspieler ist Verlass, sie sind pünktlich am Dienstagmorgen vor Ort. Ich vermute, dass sie bereits jetzt schon großen Hunger haben. Kein Wunder, denn es gibt ja pro Einsatz in einem Bundesligaspiel eine leckere warme Mahlzeit und tiefgefrorenes Spezialessen als Vorrat für die Tage bis zum nächsten Spiel. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an den neuen Sponsor „Tiefkühl-Gigant“.
Früher, also so vor ca. 104 Jahren, war natürlich alles anders. Da spielten noch richtige Menschen auf einem Rasen Fußball. Das wurde natürlich zwischenzeitlich aus hygienischen Gründen untersagt. Die Rasenunverträglichkeit-Epidemie sorgte für das Aus.
Nun werden problemlos die Spiele über das Weltnetz ausgetragen. Die damals so populären Fußballstadien gibt es nicht mehr. Die Zuschauer hatten sich geweigert, Eintrittspreise im Wert von mehreren Monatslöhnen zu bezahlen. Verständlich, dass nach der Wirtschaftskrise wieder bei Null angefangen werden musste.
40 Jahre gab es keine Bundesliga mehr, bis endlich eine Bürgerinitiative zum Neuanfang aufrief.
Wegen mehrerer Gerichtsverfahren ist so eine Fußballmeisterschaft schon lange nicht mehr so einfach zu verstehen. Also nichts mehr mit, wer am Ende der Saison Erster ist, hat den Titel.
Heutzutage treten immer zwei Spieler einer Mannschaft gegeneinander an. Sie sind verkabelt und erhalten durch Stromstöße Anweisungen von Fans aus aller Welt. Die Computersimulationen sind grafisch eine Katastrophe, aber das stört schon lange keinen mehr.
Was zählt ist die Anzahl der Ecken, die man in dem 200-minütigen Spiel erreicht. Auf dem virtuellen Spielfeld sind ja auch keine Tore vorhanden.
Neben dem tatsächlichen Spielergebnis fließen noch die Ergebnisse aus den Meinungsumfragen in China, die tagesaktuelle Mondfeuchtigkeit und die Höhe der stillen Reserven aus den Bilanzen der Sponsoren in die Wertung mit ein.
Wer insgesamt die höhere Punktzahl nach einem Spiel hat, hat noch lange nicht gewonnen, denn eine unabhängige Tageszeitung entscheidet unter Umständen per Losverfahren, wer der glückliche Sieger sein darf.
Igor ist nervös. Er hat heute Nacht schlecht geschlafen, weil sein Meerschweinchen schwanger ist. Nun befürchtet er, dass sein rechter Daumen nicht schnell genug für das Spiel mit dem Exclusiv-Controller ist. Er setzt sich zunächst freiwillig auf die Ersatzbank.
Franz benötigt wie üblich nur einen strengen Blick. Wong sitzt nun auch im Nebenraum.
Das Spiel beginnt, die Zeit geht wie immer schnell vorbei. Nach der Zeitreform vor 30 Jahren ist eine Minute nicht mehr das, was sie mal war.
Die Fans haben es auf Franz abgesehen, sein Körper wird durch die Stromstöße stark in Anspruch genommen. Es ist nicht sein Tag. Vielleicht hätte er doch einige seiner Kommentare im Vorfeld des Spiels unterlassen sollen.
Auswechslung kurz vor der Halbzeit. Igor kommt rein und verwandelt in gekonnter Manier eine Ecke.
Wir führen 14:13 und kontrollieren das Spiel. Der amtierende Meister ist sichtlich beeindruckt. Auch wenn wir durch die Spiegelwände dem Gegner nicht in die Augen sehen können, bemerken wir bei ihnen eine gewisse Nervosität, die uns die angeschlossenen Blutdruckmessgeräte bestätigen.
Nach erfolgreichem Neustart der Rechner startet die zweite Halbzeit in der bisherigen Aufstellung.
Es läuft schleppend und nicht nur die Schalke-Fans im Weltnetz sind gereizt. Wir müssen Wong bringen, damit zumindest die Umfrageergebnisse zu unseren Gunsten entschieden werden. Ich lasse mich kurz auswechseln und gehe in den Nebenraum, um mit Franz die Taktik zu verfeinern.
Doch er ist nicht da.
In der Kabine des Gegners erwische ich ihn auf frischer Tat. Er manipuliert die Verkabelung und Schalke liegt mit 27:37 zurück.
Unglaublich.
Die Weltbevölkerung wird von mir per Push-Nachricht informiert und Franz bekommt durch die an den Ohrläppchen befestigten Elektroden die verdiente persönliche Strafe. Ich muss hier nicht extra erwähnen, dass er mit sofortiger Wirkung von mir disqualifiziert wurde. Mit dem nächsten fliegenden Teppich darf er wieder zurück ins Jenseits!
Zum Glück wendet sich das Blatt ziemlich schnell, nachdem ich für Igor wieder ins Spiel komme. Flanke von Wong und mit einem simplen Trick schiebe ich unnachahmlich den Ball zur Ecke. Was für eine geile Ecke!
Wir brauchen aber für den Sieg noch eine weitere Ecke. 4 Minuten vor Ende mussten wir den Ausgleich einstecken. Ein 49:49 ist nicht genug, ein Sieg wäre gerade so kurz vor dem Weihnachtsgeschäft wichtig für das Bruttoinlandsprodukt!
Noch 3 Minuten… die Leitungen sind erwartungsgemäß stark überlastet. Die meisten Fans sind deshalb frustriert und fahren ihre Computer runter. Das Weltnetz ist für die verbleibenden 2 Minuten Spielzeit wieder stabil. Das ist wichtig!
Es sind noch einige Ecken gefallen und 20 Sekunden vor Ende führen wir mit 72:69. Nun kann doch eigentlich nichts mehr anbrennen. Wong freut sich schon, ich aber warne vor dem schädlichen Hochmut.
Wir kassieren noch zwei dämliche Gegenecken, doch der FC Schalke 04 gewinnt letztendlich aber trotzdem mit einer Ecke Vorsprung!
Ob wir das Spiel dann auch tatsächlich im Gesamtergebnis siegreich gestalten können, erfahren wir wohl erst in 2 Jahren, wenn die üblichen Verdächtigungen über Manipulationen vom Tisch sind. Sollte noch ein staatliches Gericht mit der Sache beschäftigt werden, dann dauert es natürlich noch ein paar Jahre länger.
Zuverlässig bringt mich mein Tragschrauber wieder nach Hause. Zufrieden mit meiner Leistung im königsblauen Trikot lutsche ich an meinem wohlverdienten Abendessen, einer Tiefkühlpizza.
Mikrowellen und Backöfen gibt es schließlich auch nicht mehr…
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.