“Fabian“ fühlt „den Schmerz der großen Liebe“
…mit besonders deutlichen Nebenwirkungen eben auch, wenn es diesem „Anderen“ so gut geht. Eine vielleicht nicht für alle nachvollziehbare, aber sehr ehrliche Selbstbetrachtung.
Ich sitze im Auto und höre ohne jede Emotion dem Radio zu. Das Lied ist vorbei, ein O-Ton vom letzten Abend bricht herein, wie ein plötzliches Gewitter: „Das ist einfach unglaublich! Toll für unsere Fans und den deutschen Fußball! Ein BVB-Abend!“ Ich fühle mich plötzlich schlecht. Bin wie gelähmt. Ich muss mit ansehen, dass es jemandem, der mir großes Leid zugefügt hat, verdammt gut geht. Auf der Straße, beim Bäcker, in Schulen, auf der Arbeit, in den Zeitungen: Überall wird von den großen BVB-Erfolgen auf nationaler und nun auch auf internationaler Ebene gesprochen. Das geht nun schon knapp drei Jahre so und ist für jemanden wie mich nur schwer zu ertragen.
Dieser Verein, die Stadt, das Umfeld, die Fans. Ich habe gelernt alles Schwarz-Gelbe zu hassen, mein ganzes Leben dreht sich nur um Blau und Weiß. Dieser Hass war nicht immer da, er hat sich über viele Jahre entwickelt. Man bekommt zwar schon früh gesagt, dass die Schwarz-Gelben der „Feind“ sind, die Rivalen. Doch wirklich fühlen konnte ich es erst, als ich einige Derbys miterlebt habe, in der Kurve stand und die Liebe zu meinem Verein gelebt hab.
Anfangs sind die Schmähgesänge reinste Routine: Es ist lustig, sich in dieser Form und mit tausend Freunden über den Gegner zu echauffieren. Mit der Pubertät wurde mir klar, welchen Stellenwert der S04 in meinem Leben hat. Ich begann, meinen Alltag danach zu richten, der Mythos bestimmte nun endgültig mein Leben. Alles was ich im Stadion singe, kommt aus meinem Herzen, ich singe innbrünstig mit und fühle die nie zuvor dagewesende Intensivität meiner Hingabe. Ich lebe für den FC Schalke 04 und vertrete alles, wofür er steht. Eine Beleidigung gegen „meinen“ Verein ist eine Beleidung gegen mich. Es trifft mich, macht mich wütend. Die Emotionen sind längst nicht mehr ein Phänomen aus der Kurve – ich lebe sie auch im Alltag, kann nie hunderprozentig abschalten.
Es ist der 12.05.2007, der mein Leben für immer verändern sollte. Schalke spielte in Dortmund um die deutsche Meisterschaft. Man ging als Tabellenführer in das Spiel, einen Punkt vor Stuttgart. Ein Sieg in Dortmund hätte wohl die sichere Meisterschaft bedeutet. Die Dortmunder Verantwortlichen versprachen den Spielern eine hohe Siegprämie, um sie mit Geld für dieses, für Dortmund sportlich irelevante Spiel zu motivieren. Dortmund gewann und ich denke noch heute sehr oft über die Geschehnisse während und nach dem Spiel nach. Um mich herum waren viele weinende Menschen, es hallte gefühlte 1.000 Minuten „Ihr werdet nie deutscher Meister!“ durch das ganze Stadion. Auf der Dortmunder Haupttribüne sah man viele lachende Menschen, die mit dem Finger auf uns zeigten. Es war so, als ob dir jemand das Herz rausreißt und dich in deinen letzten Atemzügen, auf dem Boden liegend, einfach laut auslacht. Ich hatte nie das Gefühl, dass sich auch nur ein Dortmunder Fan über den Erfolg ihres Teams freute – sie erfreuten sich unseres Leidens. Vor dem Stadion wurden BVB-Fans auf aggressive Art und Weise die Biere aus der Hand geschlagen. Ich selbst könnte sowas nicht tun, fühle aber keinerlei Mitleid. Ich verspüre sogar ein wenig Genugtuung und befürworte in meinem Leid diese Handlungen. Manchmal habe ich diese Situation plötzlich wieder vor Augen und versuche mit meinem Verstand die Geschehnisse vom 12.05.2007 aufzuarbeiten – keine Chance. Sofort kommen alle Erinnerungen wieder hoch, all das Leid, die Trauer, die große Enttäuschung, der pure Hass.
Ich weiß nicht, ob es mir jemals möglich sein wird, die negativen Erlebnisse mit dem Erzfeind „normal“ aufzuarbeiten, um damit in gewisser Weise abschließen zu können. Doch solange ich lebe, lebe ich für „meinen“ S04 und zum Leben gehören Emotionen, denn diese machen uns erst zu Menschen. Ich verlange von niemandem, hundertprozentig zu verstehen, warum ich so fühle, wie ich fühle. Warum ich dem BVB keinen Erfolg gönne und es mir im Herzen wehtut, mit ansehen zu müssen, wie die Schwarz-Gelben feiern. Ich würde mir nur wünschen, dass die Leute ab und zu ein wenig mehr Verständnis für Menschen zeigen, die ihr Leben anders leben. Für diese Menschen ist es normal, sich für jede andere deutsche Mannschaft im internationalen Wettbewerb zu freuen. Für mich ist es das eben nicht.
Niemand muss das „Fantum“ seines Vereins in diesem Maße ausleben, wie ich es tue. Niemand muss dem Fußball in seinem Leben eine so hohe Beachtung schenken und den Lieblingsverein ins Zentrum seines Lebens stellen. Doch gleichzeitig kann sich niemand sein Leben und die Intensivität seiner Leidenschaft aussuchen. Viele schicksalhafte Ereignisse, angefangen bei der Geburt, leiten dich dorthin. Vielleicht ist auch eine persönliche Sache und andere Schalker, die ihren Verein in einer ähnlichen Art und Weise begehren, verspüren nicht diesen Hass und die Missgunst für den schwarz-gelben Nachbarn. In gewisser Hinsicht ist es also ein Laster meiner Persönlichkeit, meiner Emotionen. Ein Laster in meinem Leben, der Schmerz der großen Liebe.
Die Nutzlose Missgunst.
(Johann Gottfried Herder)
Niedrige Seelen wünschen dem Glücklichen Jammer und Unglück,
schauen die Sonne mit Gram, die dem Zufriedenen lacht.
Doch wenn Eulen und Fledermäus’ am Mittag erblinden
und verwünschen das Licht; dunkelt die Sonne darum?
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
Pingback: Nutzlose Mißgunst | Fanecho Bundesliga