Nicht auf Kohle geboren

Jörg Paschedag hält in Berlin die richtigen blau-weißen Farben hoch.

…und erzählt heute, wie er Schalker wurde.


Ich bin nicht auf Kohle geboren, vielmehr 1965 in Wuppertal-Barmen, wenngleich vielen Unwissenden bei der Nennung dieses künstlichen Stadtnamens nach der Schwebebahn als nächstes einfällt: Ach ja, Ruhrgebiet! Stimmt natürlich nicht, wenngleich wir schon relativ nah dran sind, am Pott. Jedenfalls liegt Wuppertal tief im Westen, im traditionellen Fußball-Westen, im Gebiet der alten Oberliga West, wo der Fußball zuhause ist.

Ich habe früher natürlich auch Fußball gespielt, so ab meinem siebten Lebensjahr im Tor der E-Jugend des WSC. Zu der Zeit gab es bei uns im Tal noch einen Verein, der hieß WSV, also Wuppertaler Sport Verein. Der war zum Einem genau so was Künstliches wie die ganze Stadt, nämlich das Produkt einer Fusion, zum Anderen aber zu der Zeit auch durchaus erfolgreich, stieg er doch 1972 in die Bundesliga auf, und das nach einer Saison, die heute noch Legende ist. Die Saison 1971/72 in der damaligen Regionalliga West schloss der WSV mit 60:8 Punkten, oder, nach heutiger Zählweise, mit 88 von 102 möglichen Punkten als souveräner Meister ab. Günter „Meister“ Pröpper erzielte allein 52 der 111 Tore, in EINER Saison. Dann gewann der WSV in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga alle acht Partien. Die beiden letztgenannten Ereignisse sind wohl Rekorde für die Ewigkeit. In der ersten Bundesligasaison wurde man dann auch noch gleich Vierter und spielte im UEFA-Pokal. Schalke wurde seinerzeit 15. Es war also völlig normal, Anfang der Siebziger als Barmer Jong, Fan des WSV zu sein, auch wenn der aus Elberfeld kam.

Ich gestehe, ich war damals auch Fan des WSV, aber eben auch nur „auch“. Aber schon damals gefiel mir die Farbkombination „blau und weiß“ besser als „rot-blau“, wenngleich ich beide Trikots mein eigen nennen durfte.

Damals war man im Tal überhaupt auch immer Fan eines anderen Clubs. Bei uns im Verein war man entweder für Mönchengladbach, die Fohlen waren seinerzeit auch wirklich gut, oder eben für Schalke. Wie gesagt war ich seinerzeit Torwart. Also war doch eigentlich klar, dass ich für Schalke sein musste oder möchte jemand ernsthaft behaupten, dass Wolfgang „Otto“ Kleff auch nur annähernd die Qualitäten eines Norbert Nigbur hatte, geschweige denn so elegant und ausgiebig abrollen konnte? Ich hätte auch nie das seinerzeit so populäre Torwarttrikot Modell „Kleff“ angezogen, hatte mich mangels Alternative für den Klassiker, Modell „Fahrian“ in schwarz mit weißen Brustringen entschieden. Modell „Nigbur“ gab es leider nicht.

Ich habe mir das Schalker-Sein also ein Stück weit selber erarbeitet, gebe aber auch gerne und stolz zu, familiär vorbelastet gewesen zu sein. Das größte Erlebnis auf Schalke, von dem mein Vater mir oft erzählt hat, war das Spiel im Europapokal der Landesmeister 1958/59 gegen Atletico Madrid in der völlig überfüllten Glückauf-Kampfbahn, wenngleich die Knappen seinerzeit ausgeschieden sind. Mein Vater ist seinerzeit mit seinem Vater dabei gewesen, wodurch ich guten Gewissens behaupten kann, dass meine Töchter Schalker in vierter Generation sind.

Jedenfalls trafen die Geschichten meines Vaters bei mir auf grundsätzlich fruchtbaren Boden, zumal die Mannschaft damals ja auch eine besonders gute war. An den Pokalsieg 1972 habe ich ganz zarte Erinnerungen, an das ebenso legendäre Halbfinale gegen Köln allerdings nicht. An die sich auftuenden Abgründe des Bundesligaskandals leider wiederum ja. Aber dann kamen sie ja fast alle wieder zurück und wir hatten eine Mannschaft, wie man sie sich besser kaum basteln kann: Nigbur, Fichtel, Rüssmann, Lüttkebohmert, 2 x Kremers, Fischer…, da fang ich heute noch zu träumen an.

Am 23. März 1974 dann meine erste Live-Begegnung mit einigen meiner Idole. Im Stadion am Zoo trennten sich der WSV und S04 nach einen ziemlich grausamen Kick mit 1 : 1, was aber irgendwie nebensächlich war, da ich seinerzeit noch beide Mannschaften super fand. Und dann liefen da ziemlich viele Fans beider Mannschaften Arm in Arm durchs Stadion und sangen „Schalke und der WSV“ zur Melodie von Over in the Gloryland von den Lords. Irgendwie wusste man zu dem Zeitpunkt auch als gerade Neunjähriger, dass man so falsch nicht orientiert sein konnte. Der WSV wäre übrigens am Ende dieser Saison beinahe abgestiegen, Schalke wurde Siebter und mein Fanpendel schlug endgültig in die Richtung, aus der es nie wieder zurück kam.

Allzu oft habe ich die Knappen in den folgenden Jahren nicht live erlebt, zumindest nicht im Stadion. Aber Sport und Musik auf WDR2 war irgendwie doch auch live, jedenfalls lernte ich seinerzeit live zu leiden oder völlig euphorisiert durch die elterliche Wohnung zu rennen. Nur komisch, dass heute die Leidensgeschichten ausgeprägter in Erinnerung sind, als die glücklichen Momente. Ich erinnere mich an das Ausscheiden aus dem UEFA-Pokal gegen den 1.FC Magdeburg, ganz grausam. An gefühlte 50 Niederlagen „kurz vor Schluss“. Glücklicherweise aber auch an den legendären 7 : 0 Auswärtssieg im Münchner Olympiastadion.

Die Fohlen waren in den Jahren überaus erfolgreich. Deren Fans in meiner Mannschaft bekamen entsprechend Oberwasser. Ich habe dann angefangen Handball zu spielen. Da wurde ich nicht so dreckig, im Winter war es warm und mindestens zwei weitere Schalker waren ständig mit mir auf einer Wellenlänge. Fußball war dann immer weniger wichtig, für Schalke galt dies aber nicht, wenngleich ich zugeben muss, dass im Laufe der Jahre minimale Schwankungen auf der Zuneigungsskala zu verzeichnen waren.

Jetzt lebe ich schon ein Drittel meines Lebens in Berlin, mit der hiesigen (ur-)alten Dame konnte ich mich nie auch nur ansatzweise anfreunden, mit den Unionern schon eher, gibt es dort doch auch gewisse Parallelen zur Schalker Geschichte. Mindestens einmal im Jahr kommt mein Verein in meine Stadt, häufig bin ich dann leider beruflich unterwegs.

Meine Töchter, Jahrgang 1996 bzw. 1997, kennen ihren Vater nur königsblau. Seit der WM 2006 sind sie fußballinteressiert, eine Alternative zu meiner Farbwahl ist für sie undenkbar. Schal und Trikot hängen an der Wand, wenn sie nicht im Stadion getragen werden. Seit ich zuhause nicht mehr der einzige Fan bin, bin ich selber wieder in einem Maße vom Schalker Virus befallen, dass meine Frau beizeiten ärztlichen Rat suchen möchte.

Mein Vater, Jahrgang 1927, hat alle Meisterschaften erleben dürfen, ich warte noch auf meine erste, weiß aber schon ganz genau, dass ich die nicht im Fernsehen, sondern irgendwo in GElsenkirchen erleben werde und bestimmt nicht am nächsten Tag wieder in Berlin sein werde.

Der WSV heißt heute schon wieder etwas anders und dümpelt in Liga4 umher. Mein Schalke ist aber immer mein Schalke geblieben, in guten, wie in schlechten Zeiten.


„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.

7 Antworten zu “Nicht auf Kohle geboren

  1. …da schlägt mein Herz als Plakatsammler doch gleich höher! Und irgendwo hab ich das Teil auch schon mal gesehen…
    …zu deiner schönen Geschichte: ich erinnere mich, dass in den Jahren um 1977 auch immer einige WSV-Fans mit Kutte im damals berühmt-berüchtigtem Block 5 der Nordkurve im Parkstadion standen… da gab es offensichtlich die erste sogenante Fan-Freundschaft… waren schwere Jungs, soweit ich mich erinnere 😉

    • das Plakat stammt übrigens vom Quatscher, also vom DJ Dirk, als ich irgendwann mal auf XING gemeinsam mit Bea darüber philosophierte, dass dieses unser beider erstes liveerlebnis des geilsten Clubs der Welt gewesen sei, kam er mit dem Bild umme Ecke….

  2. Hachja, die Ungnade der späten Geburt…alles, was nach 58 geboren ist, wartet auf die erste selbsterlebte Meisterschaft 8(

  3. Obacht: S04 spielte seinerzeit in Magdeburg gegen den 1. FC – und nicht gegen den Sportclub. Trotzdem ist dies eine schoene Geschichte.

  4. sry, enrico, da merkt man dann doch, dass ich persönlich handballer bin 🙂

  5. der blinde Lektor (also ich) war schuld, und hats jetzt korrigiert.

  6. Ein Bischen komme Erinnerungen bei mir hoch.Ich lebte von 64 bis 82 quasi in Wuppertal, ne zeitlang in Schwelm, direkt an der Stadtgrenze, dann in Elberfeld und dann in Solingen, aber auch nahe an Vohwinkel.Da ich Elberfeld arbeitete und mit lauter Wuppertalern Fußball spielte, hatte ich auch Bezug zum WSV.Ich war en einem fürchterlich kalten Wintertag im stadion am Zoo, und sah ein Testspiel, ich glaube gegen eine Bundeswehr auswahl.Der WSV hatte einen Spieler namens Bonn neu verpflichtete, ein kleinerTerrier als Verteidiger.Der trat in diesem Spiel indem es um nichts ging, seinen Gegner das Schienbein durch.das passierte nicht weit weg von mir.Die kollegen hatten Mühe, mir zu erklären das man als Zuschauer nicht einen Spieler umhauen darf. Ich sah es ein, aber jedesmal wenn er in meine Nähe kam, drohte ich ihm Prügel an. Selten hab ich mich so ereifert

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