„Schmiddy“ fährt seit den frühen achtzigern mehr oder weniger regelmäßig zu den Spielen, hat einen der ältesten Fanclubs mitbegründet, DK in Block 2, Raucher, Schwimmer, Führerscheininhaber, Beamter, Wanderer, Vater, Deutscher, Europäer, Pantheist, Hesse, Hase im chinesischen Sternzeichen, Widder im anderen, Wähler, Manchmalnixkapierer, Frauenversteher, Videofreak, Buchleser und Schalker.
Ein Satz kann alles kaputt machen, aber manches ist unzerstörbar. Vom Mai 2001 und dem Danach.
„Stell dich nicht so an. Du willst mir doch wohl jetzt nicht den ganzen Abend verderben, nur wegen dem Scheißfussball!“
Da ist es wieder. Alles. Als wäre es gestern gewesen. Es ist Freitag, der 2. Dezember 2011, kurz vor halb neun abends, ich sitze vor dem Fernseher. Es läuft der WDR, eine Doku über die 04 Minuten. Kannste dir ruhig angucken, denke ich. Da biste doch längst drüber weg. Ja Scheiße. Nix is mit drüber weg.
Ich schaffe genau 10 Minuten, dann geht nichts mehr. Mir laufen die Tränen über die Wangen. Schreibe gleichzeitig im Forum, mir gehen tausend Dinge durch den Kopf. Ich erinnere mich wieder an jedes Detail, an jenen Tag im Mai.
Ich sitze, wie damals an jedem Spieltag üblich, bei meinen Eltern auf der Couch, mit Schal und Trikot, erlebe den letzten Spieltag, die Bilder, die Szenen. Ich jubele wie alle der 70000 im Stadion, damals hatte ich aus monetären und privaten Gründen eine Pause mit den Stadionbesuchen eingelegt. Neben meinem Vater sitzt noch ein Bekannter meiner Schwester mit am Fernseher, ein echter Fan der Galaktischen aus dem Süden. Der ist jetzt ganz still, hat den Mund offen und kanns nicht glauben. Ich beschimpfe ihn, lasse alles raus, was sich in über 30 Jahren Schalker Leiden angesammelt hat. Endlich ist es geschafft, geschafft, womit keiner gerechnet hat. Das kleine, asoziale, zahnlose Popelschalke ist deutscher Fußballmeister. Jeder weiß, wovon ich rede, jeder weiß, was er selbst da gefühlt hat.
Es folgt, was folgte. 4 Minuten, „Rückpass“, Zahnarzt, Meyer-Vorfelder, Kahn. Totale Leere, ungläubiges Staunen, Jubel des Bajuffen auf der Couch. Ich verlasse den Ort, gehe raus, ich bekomme keine Luft. Tränen der Wut, die ich verstecke. Keiner da, der verstehen würde, was da in mir grade vorgeht. Keiner, mit dem ich leiden kann, keiner, der Trost bringen würde oder mit dem man sich wenigstens besinnungslos besaufen kann.
Nach einer oder anderthalb Stunden bin ich wieder zurück am Ort des Geschehens. Schließlich sollte doch zur Feier des Tages gegrillt werden im Schoße der Familie. Dann fällt er, der ominöse Satz. Sie, die mich eigentlich verstehen sollte wie kein anderer Mensch, sagt ihn. Ich glaube, mich verhört zu haben, sehe aber den Blick und begreife. Die meint das wirklich so. Etwas zerbricht, genau an diesem Tag.
Ich verlasse die harmonische Stätte puren Familienidylls, kann nichts essen, will nichts essen, will Alkohol. Also versaue ich ihr nicht nur den Abend, sondern gleich die ganze Woche, jawoll. Eine Woche Suff, danach geht es halbwegs.
Alles dies kommt mir wieder in den Sinn, nach nur 10 Minuten der Doku. Eigentlich habe ich gedacht, ich hätte genügend Abstand zum Ganzen, zu Schalke insgesamt. Eigentlich wollte ich Schalke nicht mehr so dicht an mich heranlassen, zuviel ist passiert in den letzten Jahren. Eigentlich wollte ich Schalke nur noch als Spaß, quasi sozusagen gleichwie professionell, sehen. Eigentlich.
Und eigentlich hatte ich auch gar keine große Lust, am Sonntag gegen Augsburg wieder mal alleine durch die Gegend zu gondeln. Durch die 10 Minuten Doku-gucken ist aber irgendwas in mir wieder wachgeworden, was Lust auf mehr macht. Mir wird klar, jetzt und hier im Jahre des Herrn 2011, heulend auf der Couch: Sollen sie doch versuchen, uns kleinzuhalten. Sollen sie uns doch beschämen, verspotten, auslachen oder was weiß ich. Ich weiß, was wir haben, was sie nie haben werden, sie werden immer nur Fussballfans bleiben.
Schalke wird immer ein Teil meines Lebens bleiben, egal was ich auch anstelle, um dies zu verhindern. Egal, was auch immer irgendwelche Herren, egal wie sie heißen mögen, mit unserem Verein anstellen, wir bleiben, wer wir sind. Schalker. Nur wir wissen, was das bedeutet. Eigentlich sollte uns der Rest aufrichtig leid tun.
Viel ist geschehen seit 2001. Die Frau mit dem ominösen Satz gibt es in meinem Leben nicht mehr. Dafür gibt es eine neue Heimat, eine neue Liebe, viele neue Menschen, die mein Leben um und mit Schalke bereichern, zum Teil auch darüber hinaus. Echte, wirklich und wahrhaftige Freunde habe ich (wieder)gefunden, unglaublich geile Touren unternommen. Ein Trainingslager besucht, das mein Leben komplett veränderte.
Doch eins, eins ist gleichgeblieben: Die Liebe zu Schalke.
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
Ich hab mir mal das Wichtigste rauskopiert:
„Wir bleiben, wer wir sind. Schalker. Nur wir wissen, was das bedeutet. Eigentlich sollte uns der Rest aufrichtig leid tun.“
… weil sie es nie verstehen werden!
Im Übrigen: sehr schön geschrieben!
P.S. ich konnte mir die Doku auch nicht ansehen.
Sehr gut geschrieben, die Kernsätze drücken das aus, was uns Schalker verbindet. Ich wollte die WDR-Doku auch nicht anschauen, nicht schon wieder die gleichen Statements mit den gleichen Bildern…. Na ja, ich wollte dann doch wenigstens die ersten Minuten anschauen, um meine Meinung bestätigt zu wissen und verdammt nochmal, die Doku war richtig gut, viele neue Blickwinkel, neue Gesichter. Leider kamen dann auch wieder die Emotionen zurück..
Auch ohne eine Doku bleibt dieser Maitag anno 2001 in meinem Kopf, und wann immer auch irgendwo eine Szene aus diesem denkwürdigen, „typischen“ Schalketag mir entgegen flimmern, schießen mir die Erinnerungen nur so durch`s Kleinhirn…..“Immer weiter, immer weiter“ schreit die Besessene, der jubelnde Mayer Vorfaller, „Merk du Dr…..a“ wobei das gar nicht mein sonst gebräuchliches Vokabular ist. Jede Erinnerung ist wie ein Nadelstich. Aber wie weh das auch tut, es gehört zu uns. Wir sind Schalke und wir nehmen es wie es kommt. Das werden die Zuschauer anderer Verein niemals verstehen.
Im übrigen: Schmiddy, dein Text „gefällt mir“ richtig gut.
Glückauf
Frank
Sehr schön geschrieben!
Hach Schmiddy #Groupie
Schmiddy ♥
Ehrlich, ohne Schnörkel, aber mit Herzblut, ein blau-weißes Kleinod!
Meine sagte damals – und den Satz habe ich nie vergessen – als ich aus dem Stadion wieder zu Hause war:
„Stell Dich bloß nicht so an, es ist niemand gestorben!“
Von daher eine interessante Parallele. Mir kam es irgendwie schlimmer vor.
…sind aber trotzdem noch zusammen 😉
Glückauf, Enatz
Da hast mal voll ins schwarze getroffen. . habe auch alles wieder gefühlt:ganzkörpergänsehaut bis wild laufende tränen. . da soll mal jemand sagen:ist doch nur fussball! gruss
Alles gesagt