Lydia Kroll ist als Tochter eines bekannten Papas, der in der Gauliga gegen Szepan und Kuzorra spielte, schon vom Mutterleib an ein Kind des Fußballs.
In den Sechzigern war vieles noch anders. Fußball ebenso wie Weihnachten. Vielleicht näher, vielleicht einfacher, auf jeden Fall aber keinen Deut weniger dramatisch und wichtig als heute.
Was bitte haben Schalke und Schirm gemeinsam außer dem Wortanfang mit „Sch“?
Das hier ist eine Schalke-Geschichte, deren Verständnis bezüglich der Dramaturgie einer aufklärenden ausführlichen Einleitung bedarf. Sie spielt nämlich zu Zeiten des „Säbel-Willi“, also in den Jahreszahlbereichen mit der Sechszig! Säbel-Willi war der Beiname für Willi Schulz, der bei den Knappen im Glückauf-Stadion auflief.
Ich muss unbedingt etwas zum Zeitbild darstellen, was zum Beispiel auch Weihnachten beinhaltet. Da gibt es als wichtigstes Merkmal den großen, ganz silbrig geschmückten Tannenbaum, über den allein zu schreiben würde sich schon eine Geschichte lohnen. Das ist aber auch das Einzige, was sich heute noch so gestaltet, wenn der Baum erstanden, transportiert, aufgestellt und geschmückt wird. Das sich allerdings ganz anders gestaltende Thema sind die Geschenke. Trotz der Wunschzettel, die man auch zu dieser Zeit schon malte oder schrieb, kann ich mich nicht erinnern, wann ich jemals vor dem heiligen Abend im Wissen um die Geschenke war. Was heißt überhaupt „Geschenke“? Oft gab es nur eines an der Zahl und daneben lagen für jede Person einzeln dekorierten Teller unter dem Baum. Was hat das mit einem Schirm zu tun? Das will ich erklären. Denn ein solches Teil, Ausführung Knirps, hatte das Christkind mir unter den Baum gelegt! Als Teenie bin ich vor Stolz dann geplatzt, solch ein Teil mein Eigen zu nennen.
Da ich in einem Nachbarort ein Aufbaugymnasium besuchte, musste ich mit dem so genannten Triebwagen der Bundesbahn die Strecke von Herne bis Recklinghausen täglich zurücklegen. Das war zeitlich schon eine Strapaze, da der Stundenplan der Schule mit dem Fahrplan nur schwer zusammenging. Und was passierte in der Eile: ich musste mittags unbedingt noch eine gewisse Örtlichkeit am Bahnhof aufsuchen. Ganz knapp erreichte ich danach auch meinen Triebwagen noch. Da war ich happy, dass ich nicht eine geschlagene Stunde auf den nächsten warten musste – aber, oh Schreck, happy bliebe ich nicht lange, denn was lag nun in Recklinghausen am stillen Örtchen? Richtig, mein heiß geliebter Knirps!
Und, was soll ich dazu sagen? Wenn man Glück hat, trifft man auf ehrliche Menschen! Aber ich hatte keines, niemand hatte das wertvolle Weihnachtsgeschenk an der Fundstelle abgegeben. Nun musste ich wieder ohne auskommen!
Was soll das nun mit Schalke in Verbindung bringen?
Ich besuchte meist die Spiele von S04, weil ich da nichts bezahlen musste. Denn die Spieler schleusten mich an der Hand mit durch die schmale Brettertür unterhalb der Tribüne, wenn sie vom Aufwärmen auf dem Platz nebenan kamen.
So wollte ich auch heute, trotz schlechten Wetters, das Spiel ansehen. Aber guter Rat war teuer, denn als nasse Katze vor die Augen der Spieler zu gehen erlaubte mir meine Eitelkeit natürlich nicht. Und so bettelte ich meine Mama so lange an, bis sie mir ihren Taschenknirps lieh. Nach fast zwei Stunden erreichte ich den Kneipenbereich von Ötte am Stadion. Ich wunderte mich, dass ich nur wenige Fans dort fand. Was war los?
Ganz einfach, der Platz war nicht bespielbar und das Spiel fiel aus! Watt nu?
Da bot es sich nur an, gleich bei Tibulski einzukehren, wo sich nach kurzer Zeit auch die Spieler einfanden. Die hatten immer im Nebenraum ihren Kommers nach dem Spiel, sprich Essen und Trinken, während ich gleich an dem großen Stammtisch in der Nähe des Eingangs Platz nahm, nachdem ich mich an der Garderobe des Mantels entledigt hatte…
Dort bezog man mich immer als Teenie-Fan in die Tischrunden ein, wobei ich auch wohl eingestehen muss, dass es nicht immer Saft war, was ich dann zu trinken bekam. Ab und zu schauten auch mal die Spieler vorbei und quatschten etwas mit uns. Denn erst später begaben sich etliche von ihnen in eine andere Lokalität. Ich meine mich zu erinnern, dass die „Wiener Stüberl“ hieß. Die lag weiter Richtung Stadt. So hatte ich zum Teil auch manchmal Glück, dass mich ein Spieler im PKW ein Stück mit nahm, die Jungs wussten ja, dass ich noch bis zum Bahnhof musste.
Heute nun war es eine auch drinnen feuchte Angelegenheit, die da durch die Kehlen rann, denn es blieb ja viel mehr Zeit für ein „Spiel-Ersatztrinken“ als an den sonst stattfindenden Spieltagen! Nachdem dann nach und nach die Spieler später abzogen – meine Lieblingsspieler waren auch schon weg – wollte ich mich doch auch auf den Heimweg machen. Und dann nahm das Drama seinen Lauf! Als ich am Garderobenständer meinen Mantel anzog, da war da nur noch etwas Altes, Kümmerliches an Schirm zu finden, aber nicht das gute Teil meiner Frau Mama!
Der Schock fuhr mir durch alle Glieder und löste wahre Sturzbäche an Tränen aus. Als mich die Leute nach der Ursache für mein heftiges Weinen fragten, musste ich mich anstrengen, unter Schluchzen eine Erklärung raus zu bringen. Das bekam auch unser Spieler Willi mit, und sein Trost bestand darin, mich mit seinem Auto zum Bahnhof zu fahren. Mit meiner Angst vor Mama lösten sich auch während der Fahrt noch viele Tränen und der gute Willi wusste gar nicht, was er noch sagen könnte. Ich denke, so war er dann froh, als er mich Häufchen Elend am Hauptbahnhof in Gelsenkirchen absetzen konnte.
Es ist mir nicht mehr in so lebhafter Erinnerung, wie meine Mutter dann reagiert hat. Aber ganz angenehm wird dies wohl nicht verlaufen sein.
Aus „Säbel-Willi“ wurde dann später der „World-Cup-Willi“ und Spieler des HSV, wo er wohl auch heute noch eine Funktion in der Führungsetage inne hat.
In Erinnerung an damals also, Glückauf Willi!
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres und/oder Interessantes über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Klar erkennbar muss sein, ob es sich um eine wahre Geschichte handelt oder um einen Prosatext, also einen konstruierten, erfundenen, der etwas Bestimmtes ausdrücken will in Bezug auf den FC Schalke 04.
Wichtig ist natürlich auch, dass ihr kein Problem damit habt, dass euer Text hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.
Super!
Finde ich gut, dass Lydia meinem Rat gefolgt ist und hier (hoffentlich) ganz viele Geschichten hinschicken wird… 🙂
Schön zu lesen, wie es „damals“ so war…