Janosch Kratz verdankt sein Liebe zu Schalke dem Arbeitgeber seines Vaters. Selbst eigentlich Gladbachfan, arbeitete „der alte Herr“ zehn Jahre lang in Gelsenkirchen und entwickelte so eine wahre Hass-Liebe zu den „Bekloppten“, wie er die Schalker gerne nannte, wobei die Liebe in den Jahren immer mehr die Oberhand gewann. Wundert’s wen?
Das Revierderby 2004, ein denkwürdiger Januar-Abend im Westfalenstadion…
Es war der erste Spieltag nach der wie immer schier unendlich erscheinenden Winterpause. Ein kalter Freitagabend am 30. Januar 2004. Mit drei Freunden hatte ich mich von Köln aus auf den Weg nach Dortmund gemacht, um unsere Schalker beim großen Rivalen zu sehen und anzufeuern. Für mich war es das erste Auswärtsderby im Westfalenstadion und so drehten sich meine Gedanken schon seit Tagen nur um dieses eine Spiel. Zu Hause, auf Schalke, hatte ich schon einige Ruhrpottmeisterschaften erlebt, aber die Erwartung und Vorfreude, Teil einer vielleicht 15.000 Mann starken blauen Masse zu sein, die im fremden Wohnzimmem gegen eine Wand aus Gelb-Schwarzen ansingen würde, rief schon ein besonderes Gefühl in mir hervor!
Meine Vorfreude und Anspannung wuchs auf dem Weg zum Stadion immer mehr, denn man spürte deutlich, dass ein Derby immer etwas Außergewöhnliches mit sich bringt und für viele Anhänger das wohl wichtigste Spiel des Jahres ist. Die Winterpause war vorbei, Dortmund lag in der Tabelle nur einen Punkt vor Schalke auf dem 6. Platz und während alle anderen Vereine noch einen Tag warten mussten, sahen 83.000 Privilegierte an diesem Abend den langersehnten Rückrundenbeginn.
Und das Spiel hielt alles, was man sich von einem echten Derby erwarten durfte. Aber am besten eins nach dem anderen und in chronologischer Reihenfolge.
Die Partie begann direkt mit einem Aufreger nach nur sieben Minuten. Frings fiet im Strafraum und der Schiedsrichter, wie man so schön sagt, darauf rein. Zum Glück sorgte Schalkes Torwart Frank Rost wieder für Gerechtigkeit und hielt den fälligen Strafstoß gegen Jan Koller. Daraufhin entwickelte sich ein munteres Spiel, welches in der 43. Minute seinen nächsten Höhepunkt zu verzeichnen hatte: Rosicky, bereits Gelb vorbelastet, kassierte nach einer vermeintlichen Schwalbe seine zweitee gelbe Karte und musste vorzeitig zum Duschen. Gerechtigkeitshalber sei aber gesagt, dass auch in dieser Situation der Schiedsrichter falsch lag, was die Gemüter auf beiden Seiten nicht gerade beruhigte.
So gab es in der Halbzeit auf jeden Fall genug Gründe zu diskutieren und die Stimmbänder mit Bier zu ölen! Und wer, wie an der Bierbude immer wieder zu hören war, bereits in der ersten Hälfte 1000 Tode gestorben war, der hätte die Zweite Hälfte mal besser weiterhin an der Bierbude verbracht.
Denn auch die begann munter und zu meiner Freude gelang es Schalke, immer mehr das Spiel an sich zu reißen. Außerdem brachte Jupp Heynckes in der 72. min endlich meinen Lieblingsspieler und Publikumsliebling Ebbe Sand für den eher enttäuschenden Mike Hanke.
Allerdings hielt die Freude im Schalker Block nur ganze drei Minuten, ausnahmsweise Mal nicht nur vier Minuten! Der bereits verwarnte Schalker Aushilfsverteidiger Kläsener ging im Strafraum mit der Hand zum Ball und bekam folgerichtig die Gelb-Rote Karte, sowie Dortmund seinen zweiten Strafstoß an diesem Abend.
Auf der Tribüne starb ich in diesem Moment mit weiteren 15.000 nun wirklich den schätzungsweise 1000. Tod, denn bis dahin waren wir die klar bessere Mannschaft gewesen und dem Führungstor eindeutig näher. Nun jedoch war auch Schalke nur noch zu zehnt und Frings lief an, um Dortmund 15 Minuten vor Schlusspfiff in Führung zu schießen. Doch einer hatte an diesem Abend erneut etwas dagegen: Frank Rost. Er hielt auch den zweiten Elfmeter und so war das Spiel weiterhin vollkommen offen!
Ich fasse also noch Mal kurz zusammen, zwei gehaltene Strafstöße, zwei Platzverweise, zwei davon berechtigt, zwei vollkommen unberechtigt, noch 15 Minuten zu spielen und Ebbe Sand hatte endlich den Rasen des Westfalenstadions betreten. Und das alles im Derby!
Als ich mir selbst diese Tatsachen noch einmal vor Augen führte, drehte ich mich grinsend zu meinem Kollegen Peter und sagte, dass in diesem verrücktem Spiel eigentlich nur ein Tor durch den gerade erst eingewechselten Ebbe Sand in der letzten Minute fallen könne. Wir lachten beide herzlich, denn zu der wahnwitzigen Vorstellung kam die Tatsache, dass Ebbe in der ganzen Hinrunde noch kein einziges Tor geschossen hatte.
Bis zur 89. min!
Altintop setzte sich durch, passte auf Sand, der den Ball gefühlvoll über den herauseilenden Warmuz lupfte. An den Rest kann ich mich nur noch wie in Zeitlupe erinnern. Der Ball rollte langsam aber unaufhaltsam Richtung Dortmunder Tor und in Richtung einer blauen, erstarrten Masse, die allerdings wenige Sekunden später explodieren sollte!
Denn was nun geschah war einfach unbeschreiblich und der Grund dafür, warum Millionen Menschen, Woche für Woche, ins Stadion pilgern. Alle Anspannung, Verzweiflung, Wut und Freude, die sich 89 Minuten lang aufgestaut hatte, entlud sich in diesem einem Moment! Alle Lasten und Sorgen des Alltags waren in diesem Augenelick wie weggewischt, denn das einzige was man spürte, war pure Freude. Und ganz ohne Hemmungen, durfte man mit 15.000 Gleichgesinnten all seine Gefühle zeigen und herausschreien, ohne sich auch nur eine Sekunde dafür schämen zu müssen! Minutenlang befand man sich in einem Rausch der körpereigenen Glückshormone, der mit nichts auf der Welt vergleichbar scheint.
Das Spiel endete 0:1 für Schalke. Am Ende der Saison belegte die Mannschaft einen enttäuschenden 7. Platz, fünf Punke hinter Dortmund, doch alleine für diesen einen Abend hatte sich die ganze Saison gelohnt!
Später beschrieb ich diesen unvergesslichen Moment Leuten, die meine Faszination am Fußball und am Stadionbesuch nicht verstanden und für übertrieben hielten. Und als ich eine passende Beschreibung für meine Gefühle nach Ebbes Tor suchte, fiel mir spontan ein Zitat aus dem Film Trainspotting ein: „Nimm deinen besten Orgasmus, multipliziere ihn mit 1000, und du bist noch nicht mal nahe dran!“
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.