Nie wieder fahre ich da hin, nie wieder…

Stefan Barta, leidenschaftlicher Sammler alter Fußballplakate fährt seit 1976 zu seinen „Blauen“ und hat seine Geschichten als Schalke-Autor der Bücher „Für immer blau-weiß“ „Mein Parkstadion“ und „Was ich noch loswerden wollte“ festgehalten.

Heute überlegt Stefan Barta, wieso er eigentlich ins Stadion geht…


„Glaubste nich, wa? Wirste schon sehen. Sonne Scheiße guck ich mir einfach nich mehr an. Brauchst gar nicht anzurufen nächste Woche.“ Hand aufs Herz, diesen oder zumindest einen inhaltlich ähnlichen Satz habt ihr alle schon einmal gesagt, um gleich am nächsten Heimspielsamstag das Gelübde wieder zu brechen. So wie ich auch. Aber ich habe es mir im Laufe der Jahre inzwischen abgewöhnt, etwas in dieser Richtung zu erwähnen. Meine Familie findet diese Aussagen nämlich unglaubwürdig und macht sich in solcher für mich mehr als schwierigen Zeit, nämlich dann wenn Schalke-Spiele so unerträglich für mich sind, dass ich mich zu so einem dummen Ausspruch hinreißen lasse, lustig. Inzwischen haben sie schon Lieder komponiert und machen sich gemeinschaftlich über ihr Familienoberhaupt her, weil sie genau wissen, welch einen Quatsch der Vater und Ehemann da gerade von sich gibt. Es ist nämlich natürlich so, dass es einfach unmöglich für mich ist, nicht mehr an den Ort zu fahren, an den ich hingehöre. An den Ort meiner Leidenschaft. Das Stadion. Das Stadion auf Schalke oder das Stadion in dem Schalke gerade spielt.

Wieso ist das so und was ist das für ein Zustand, was ist das für eine Gemütslage, die einen Sätze sagen lässt wie: „Nie wieder Auswärts nach Wolfsburg!“ Es ist wohl der Moment, in dem eine immer wiederkehrende Enttäuschung, das imaginäre Fass, das Fass der Gefühle zu Schalke, zum überlaufen bringt. Der Moment, der uns ohnmächtig vor Wut werden lässt und in dem wir uns am liebsten trennen wollen von DER festen Größe in unserem Leben, die uns am liebsten ist. Aber das ist natürlich hausgemachter Blödsinn und wir wissen es natürlich schon Momente später, dass wir es vielleicht schaffen würden ein zwei Spiele mal auszusetzen (das habe ich ja auch schon mal zur Urlaubszeit geschafft), aber für immer? Für immer unserem FC Schalke 04 den Rücken kehren, das ist wahrlich dümmer zu glauben, als dass eines Tages die Hölle zufriert.

Aber ich möchte noch etwas tiefer in das Thema eintauchen. Eintauchen in das Thema „Phänomen Schalke“ und warum ich und viele Tausende anderer Schalke-Verrückte jedes Wochenende wieder ins Stadion pilgern. Es wäre einfach zu sagen, die haben eh alle eine Dauerkarte und wenn die Saison zuende ist wird sie aus Angst, nie wieder eine zu bekommen, und in der Hoffnung auf bessere Zeiten auch nicht abgegeben. Nein, das ist mir zu profan. Zumal es ja Zeiten gab, zu denen die Spiele nicht immer ausverkauft und Dauerkarten eher die Ausnahme waren. Die Frage und somit auch die Antwort ist eine andere „Warum gehen wir zum Fußball? Warum fahren wir über Jahrzehnte zu einem Verein, der uns mehr LEIDEN als feiern lässt?“ Und noch mal Hand aufs Herz, ihr wisst es doch auch, DAS wird sich auch nicht ändern. Auch wenn wir mal etwas gewinnen sollten, irgendwann einmal.

Ich will euch sagen, warum ICH jeden Samstag wieder mit meinem „Verein“ leide und feiere. Und vielleicht seht ihr es ja ähnlich. Ich fahre Samstag für Samstag ins Berger Feld, weil „es“ einfach zu mir gehört. Wie meine Familie, wie mein Charakter und wie mein Aussehen. Weil ich auf Schalke meine Freunde, ja meine Schalke-Familie treffe, weil ich auf Schalke sein kann wie ich bin und weil ich es mit meinem Schal und Trikot allen zeigen kann. Hier in der Kurve kann ich meine Gefühle zeigen, ich kann schreien, weinen und auch mal sauer werden. Hier treffe ich Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, die mich nur allzu gut verstehen. Hier kenne ich Professoren die in der Kurve neben dem Schulabbrecher mit Schalke fiebern und umgekehrt. Hier kann man seine Farben tragen, egal ob unter die Haut tätowiert oder auf dem Rücken einer Jeansweste. Hier sind wir alle gleich und wollen alle dasselbe. Ohne Wenn und Aber. Hier gehöre ich dazu, egal wo ich herkomme und wie ich aussehe. Hier esse ich bei Sonnenschein mit meinen Freunden die Bratwurst und genauso trinke ich bei Schneeregen ein Bier. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“ um den alten Feingeist Wolfgang zu zitieren, der es nicht umsonst mit diesen Worten bis in eines unserer Schalke-Lieder geschafft hat. Und damit wohl auch den Nagel auf den Kopf traf.

Wenn ich auf Schalke bin, vergesse ich die Welt da draußen, dann ist NUR NOCH Schalke. Ich vergesse meine Sorgen und meine Nöte und lebe in dieser einzigartigen Welt des Fußballs. Mit Menschen, die mir manchmal fremd sind, doch dabei oft trotzdem näher, als viele Andere des alltäglichen Lebens, die ich so gut kenne. Die Kurve des altehrwürdigen Parkstadions war für mich da, als sich damals als pubertierender Junge die Welt gegen mich verschworen hatte und Schalke war für mich da, als sich meine erste große Liebe von mir trennte. Auf Schalke war ich unter 70000 Schalkern der einsamste und zugleich geborgenste Mensch nachdem mein Vater gestorben war und der glücklichste, als ich meinen Kindern das Schalke-Gen vererbte. Deshalb fahre ich, wohl bis ich es nicht mehr kann, Woche für Woche nach Gelsenkirchen.

Denn wenn ich auf Schalke fahre, freue ich mich darauf, dann bin ich glücklich und zufrieden, aber eben leider auch manchmal danach enttäuscht. Und wer sagt in einer ersten Enttäuschung nicht einmal etwas Unbedachtes, etwas wie: „Nie wieder fahre ich da hin, nie wieder…“.

Aber das ist natürlich unmöglicher Quatsch.


„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.

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