Detlef Aghte ist seit 58 Jahren mit dem Verein verbunden, als Kind in GE zuhaus. Später in der Ferne die Blauweiße Fahne verteidigend, umso beschissener es um den Club stand, umso intensiver die Liebe. Noch später auch die Verbundenheit zur Stadt demonstrierend, weil Gelsenkirchen ein Synonym für alles Bescheidene in der Republik geworden war. Seit 1989 Vereinsmitglied (als die Amateurklasse drohte). Hat 10000 Sportzeitungen zuhaus.
Erinnerungen von Detlef Aghte an Charly Neumann und entscheidende Momente….
Gerade hab ich den Bericht von der Beerdigung von Charly gelesen, da kommen mir einige Sachen mit Charly in den Sinn. Da ich ja schon ein paar Tage auf dem Buckel habe, war ich schon mit dabei, als Charly zum Filmstar avancierte. „Das Wunder des Malachias“ wurde quasi vor unserer Haustür gedreht, klar, das ich als 13/14-jähriger dabei war. Charly war in seinem Element. Das ging soweit, das er ne ganze Zeit beim Film tätig war.
Irgendwann war er wieder da, und fing an sich ein „Gaststättenimperium“ aufzubauen. Am liebsten gepachtet von der Stadt Gelsenkirchen. Die Leute sagten, er ist pfiffig. Man hatte ihn belegte Brötchen ins Polizeipräsidium tragen sehen. „Der ist dreimal chemisch gereinigt“, sagten sie, und es klang beifällig.
Ich nahm es so zur Kenntnis und dachte mir, er versteht es seine Popularität zu nutzen, und habe sein Engagement mit anderen Augen gesehen, wenn ich im Parkstadion im Restaurant meine Bierchen beim Spiel trank – natürlich oblag Charlys Familie die Bewirtung.
Und dann kam der 10.April 1990.
Wir spielten in Köln im Südstadion gegen Fortuna. Ich war spät dran, als ich endlich meinen Wagen in diesem Chaos abstellen konnte und mich aufmachte, mir eine Karte zu kaufen. Gefühlte 5000 Menschen standen vor dem Kartenhäuschen. Herr Löring hatte seine Leute nicht auf den Andrang aus Gelsenkirchen vorbereitet. Ich checkte kurz ab, wie lange es wohl dauerte, und kam zu den Entschluss: zu lange!
Ich marschierte ein wenig nach links, immer an ner Mauer vorbei, und suchte eine Gelegenheit, über selbige zu klettern. Weiß gar nicht mehr wie, aber endlich bot sich mir ne Möglichkeit, die Mauer zu erklimmen. „Machen sie nur, springen sie rüber“, hörte ich eine Stimme hinter mir. „Drüben läuft einer mit nem Rottweiler rum“, sagte eine ältere Dame, die aus einem Fenster schaute. Da ich genau so einen Hund zu Haus hatte, brach ich mein Unterfangen ab.
Ich sprintete zum Auto und holte meine Fototasche aus dem Kofferraum. Ein richtiger Alukoffer mit einer semiprofessionellen Ausrüstung. Und wieder zurück zum Eingang. Im selben Moment kommt ein Krankenwagen vom Roten Kreuz, ich hatte meine Kamera mit dem Tele umgehängt und marschierte auf die Ordner zu. „Wo liegt die Leiche?“, fragte ich. „Ich glaub auf der Tribüne“ sagt mir der Ordner. Und schon war ich vorbei, der erste dachte ich.
Am Eingang zur Tribüne Gegengerade fragte ich den Typ, der die Karten entwerten sollte: „Wo ist der Notarzt hin?“. „Da unten“, sagte er – jetzt war mir erst bewusst, dass es hier eine ernste Angelegenheit war. Ein Mensch hatte einen Infarkt erlitten und ich kasperte da rum, nur um pünktlich zum Spiel zu kommen. Das Spiel lief schon, während man versuchte, den Mann zu reanimieren. Ich wollte mir einen Platz suchen, als mir einer sagte: „Verpiss dich, wenn du hier knippst, bekommst du Schläge!“. „Recht haste“, hab ich gedacht und ging runter, dort war ne Tür zur Laufbahn hin. Ich bat den Ordner, mich durch zu lassen, was er auch tat.
So war ich also im Innenraum und schaute dem Spiel zu. Neben mir stand Anthony Baffoe, ich glaube, er spielte seinerzeit für Düsseldorf. Ich wurde immer dreister, nach der Pause ging ich weiter bis zur Bank und setzte mich neben Charly Neumann. Kein Kommentar, niemand regte sich auf.
In der 64.Minute machte Schacht das 1:0 für uns. Wir hüpften durch die Gegend. Zweite Liga, Pleiteliga – wir brauchten Siege, um wieder an die Fleischtöpfe zu kommen. Es sah gut aus, bis 10 Minuten vor Schluss, da machte Hupe das 1:1. Neben mir fiel Charly in sich zusammen, er hatte schon die ganze Zeit gebibbert und gezittert. Nun stürmten die Kölner wie verrückt, nebenan turnten Fahrian und Löring rum, Aufregung pur. Und nun kam der Moment wo ich heimlich Abbitte tat.
Hatte ich doch bis dahin gedacht, der Neumann verarscht sie alle. Nun musste ich miterleben, wie er neben mir fast kaputt ging. Die letzten 10 Minuten waren die Hölle. Der Charly hatte einen knallroten Kopf, dass ich mir ernsthaft Gedanken machte. „Charly schrei, heul oder was weiß ich, aber mach was, dir platzt gleich der Kopf!“
Das Spiel stand bis zur neunzigsten auf des Messers Schneide, dann machte Hupe das 2:1.
Aus und vorbei, ich machte mich aus dem Staub und hatte fortan eine andere Meinung von „Unser aller Charly“.
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.