Schalke goes East

Andreas Schmitz war offensichtlich schon früher Reise- und Abenteuerlustig.

Heute schreibt Andreas Schmitz über das Jahr 1977 und seine Reise zum UEFA-Cup Spiel in Magdeburg.


Herbst 1977, die Welt befand sich mitten in einem Krieg, der zum Glück kalt war, aber irgendwie war auch uns Jugendlichen bewusst, dass dieser Krieg auch heiß werden konnte. Es war auch der Herbst, der später als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte eingehen sollte.

Der Bundesliga-Skandal, an dem wichtige Spieler unseres Vereins mitgerührt hatten, wirkte immer noch nach, wir Schalke-Fans hingen noch den großen Träumen der knapp verpassten Meisterschaft 1972 und 1977 hinterher, gerade waren es erst ein paar Monate her, als Schalke am 34. Spieltag vor 71.000 Zuschauern im Parkstadion den BVB souverän mit 4:2 geschlagen hatte. Leider hat es mit dem Titel nicht geklappt, da der FC Bayern an diesem Tag hätte Borussia Mönchengladbach schlagen müssen. In alter Freundschaft trennten sich die die 70er Jahre beherrschenden Vereine mit 2:2, Gladbach steuerte in letzter Minute noch ein Eigentor zum 2:2 bei, damit die Kumpels von der Nationalmannschaft vor den eigenen Fans nicht so schlecht aussahen und man anschließend gemeinsam feiern konnte…

In der Saison 77/78 lief es nicht gut – hat der S04 jemals zwei aufeinander folgende gute Spielzeiten abgeliefert?? – im UEFA-Cup wurde die erste Runde souverän gegen den Florenz gemeistert. Das Hinspiel ging 0:0 aus, es wurde aber mit 3:0 für den S04 gewertet, da die Italiener irgendeinen nicht spielberechtigten Spieler eingesetzt hatten. Das Rückspiel vor 40.000 im Parkstadion war dann nur noch Formsache, man gewann 2:1.

Die Auslosung zur 2. Runde wurde mit Spannung erwartet, wir Fans wünschten uns alle den 1.FC Magdeburg, damit man es denen in der Zone mal so richtig zeigen konnte. Unser Wunsch wurde erfüllt – es war der 1.FC Magdeburg. Zunächst sollte im Ernst-Grube-Stadion gespielt werden. Da wollte ich natürlich unbedingt hin, aber meine Kumpels, mit denen ich im Alter von 16 Jahren schon die Umgebung (Dortmund, Köln, Bochum, Duisburg, Essen) auswärtstechnisch abgeklappert hatte, haben keine Reisegenehmigung erhalten, nicht von der DDR, nur vom Elternhaus:-) Erschwerend kam hinzu, dass man an Eintrittskarten nur über ein Reisebüro bekam, das Bustouren im Konvoi organisiert hatte. Minderjährige konnten nur in Begleitung Erwachsener fahren. Das waren wohl die Vorgaben von „drüben“. So musste ich meinen Vater breitschlagen, der aber schließlich in die Tour einwilligte.

Am Spieltag, dem 19. Oktober 1977 , ging es dann in aller Herrgottsfrühe gegen 06:00h los, die Busse fuhren vom Parkplatz hinter dem Musiktheater los in Richtung Grenzübergang Helmstedt/Marienborn. Mit Spannung erwartete ich den Eintritt in die andere Welt DDR, zuvor war ich dort niemals gewesen. Jetzt bestand die einmalige Möglichkeit, einen eigenen Blick hinter den eisernen Vorhang zu werfen.

Die Fahrt Richtung „Zonengrenze“, wie die innerdeutsche Grenze grundsätzlich von meiner Oma genannt wurde, verlief reibungslos, so dass wir dort schon am späten Vormittag eintrafen. Die Beklemmung stieg doch ein wenig an, nachdem wir das DDR-Hoheitszeichen, ein hohes Schild mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz, in der Mitte der Autobahn passiert und die riesige, erdrückend wirkende Kontrollstelle erreicht hatten.

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, ein wenig durch die Stadt zu ziehen und uns mal den sozialistischen Alltag anzuschauen. Damit waren die Behörden der DDR allerdings nicht einverstanden und hielten uns bis ca. 16:00h am Grenzübergang Marienborn in den Bussen, bis sie endlich die Pässe mit dem Einreisestempel wieder rausrückten. Nun ging es in Richtung Magdeburg, damit niemand Blödsinn machte, hatte man jedem Bus einen Aufpasser mit an Bord gegeben. Er erschien auf jeden Fall freundlicher als die eiskalten Grenzer, die durch die Busse gingen, um uns zu überprüfen. Der Begleiter schwallerte irgendwelches Zeug vom „Willkommen im ersten freien Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ und leitete uns vom Grenzübergang durch die Stadt. Gut, Gelsenkirchen war damals auch keine schöne Stadt, aber Magdeburg erschien uns dagegen noch einige Stufen grauer, die seltsamen Autos kamen meist in blassen Farben daher, die einzige Farbtupfer waren knallrote Banner a la „ es lebe der Sozialismus“ und „von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“. Jugendliche meines Alters knatterten auf ihren Simsons über die kaputten Straßen.

Die Fahrt ging schließlich auf eine Elbinsel, wo in einem großen Saal die lustige Schalker Reisegruppe das im Gesamtpaket enthaltene Essen einnehmen musste. Das war eigentlich in Ordnung, die scheußlich schmeckende DDR-Cola brannte sich jedoch in meinen Geschmacksnerven ein.

Nach dem Essen sollten die Fans eigentlich mit dem Bus zum Stadion gebracht werden, da aber die Entfernung zum Stadion lediglich 2 km betrug, haben sich einige Schalker Fans (wir auch) den „Bewachern“ entzogen und haben die kurze Strecke zu Fuß zurückgelegt, um ein wenig vom sozialistischen Alltag „einzuatmen“. FC Magdeburg-Fans begrüßten uns mit Gesängen ihres Clubs, die Straßen Richtung Stadion waren voller Menschen. Auch russische Soldaten in ihren angeschmutzten Uniformen gab es zu bestaunen, ich hatte noch nie zuvor einen Russen, geschweige denn russische Soldaten gesehen! Die beiden, vielleicht Anfang 20, marschierten stramm die Straße entlang.

An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich mir über meine Kleidung keine ausreichenden Gedanken gemacht habe. Damals waren diese Bundeswehr-Parka total „in“, genau den hatte ich an diesem kühlen Oktobertag an. Wohl deswegen bin ich auf dem Weg zum Stadion einmal auffallend heftig angerempelt worden. Richtigen Kontakt gab es sonst aber nicht.

Das Ernst-Grube-Stadion erwiese sich dann tatsächlich als „Grube“, ein Erdstadion mittlerer Größe. Mit 36.000 Zuschauern war es ausverkauft, ca. 2000 Schalker Fans darunter. Die Stimmung vor Anpfiff war schon sehr gut, hat sich aber dann im Spiel noch gesteigert. Magdeburg legte los wie die Feuerwehr, Jürgen Sparwasser (er hatte auch das Siegtor im WM-Spiel gegen die BRD geschossen) traf schon nach 18 Minuten. Die erste Halbzeit ging klar an die Magdeburger, in der 45. erhöhten sie auf 2:0, wieder war es Sparwasser.

Im Schalker Block gabs reichlich lange Gesichter, eine Packung drohte! Aber unsere Mannschaft kam gestärkt aus der Kabine und drückte die Magdeburger gegen ihr eigenes Tor. Schon in Minute 55 jubelten wir ausgelassen über den Ausgleich zum 2:2 durch Rüdiger Abramczik. Die Blauen aus dem Westen wollten mehr, aber wie so oft geht solch eine Taktik schief. Magdeburg konterte und ging erneut durch Sparwasser in Führung. Nun ging es darum, sich eine gute Ausgangsposition fürs Rückspiel zu verschaffen, aber die Leistung der Mannschaft fiel ab, so dass die Magdeburger schon 15 Minuten vor Schluss den Endstand von 4:2 herstellten. Aber schon damals gab es die Auswärtstor-Regelung, daher hofften wir, dass uns die beiden Auswärtstore beim Rückspiel im Parkstadion helfen würden.

Jetzt hatten die DDR-Behörden es ziemlich eilig, uns wieder los zu werden. Die Busse wurden mit VoPo-Begleitung zügig durch den Stau der Trabbis und Wartburgs geleitet, in Marienborn wurden zügig die Pässe kontrolliert und die Busse nach Flüchtlingen abgesucht, diesmal dauerte es keine 30 Minuten und wir konnten Marienborn Richtung Westen verlassen. Zuvor hatte uns unser „Aufpasser“ noch verabschiedet und seine Hoffnung geäußert, dass man sich vielleicht nächstes Jahr im Landesmeister-Cup wiedersehen würde. (daraus ist NATÜRLICH nichts geworden…)

Für das Rückspiel waren wir optimistisch, ein 2:0 oder 3:1 würde reichen. 14 Tage später war es dann soweit, das Parkstadion war mit 71.000 Zuschauern ausverkauft. Die Fans des FC Magdeburg waren mit einem Sonderzug am Gelsenkirchener HBF angekommen und in Busse verfrachtet worden. Es kam somit nicht zu einem freundschaftlichen Zusammentreffen der Fangruppen.

Das Spiel war aus Schalker Sicht eine Katastrophe, die Blauen kamen bei strömendem Novemberregen überhaupt nicht ins Spiel und als Helmut Kremers den letzten Treffer des Spiels, das 1:3, erzielte, waren erst ca. 50 Minuten vergangen. Die Magdeburger spielten den Rest locker runter, so dass der S04 blamabel mit insgesamt 3:7 Toren und zwei Niederlagen ausgeschieden war!

Es sollte übrigens das letzte internationale Spiel unseres Vereins für fast 20 Jahre werden, wer hätte es damals gedacht, dass der S04 so viele Jahre nach dem Magdeburger Desaster europäisch wie der berühmte Phoenix aus der Asche steigen sollte…

Eine lustige Randnotiz war später noch in der Zeitung zu lesen: Zwei DDR-Bürger hatten sich wohl von der Gruppe abgesetzt in der Absicht, ein wenig mit Schalkern zu feiern. Dabei hatten sie sich so dermaßen zugekippt, dass sie die Abfahrt des Zuges gen Osten verpasst hatten. Angesichts der großartigen Gastfreundschaft der Schalker hatten sie sich letztendlich zum Bleiben entschlossen!

Immer wenn ich heute über die A 2 in Richtung Berlin fahre, denke ich bei Anblick des leeren Betonrahmens, wo damals Hammer und Zirkel im Ährenkranz den Beginn des Hoheitsgebietes der DDR markiert hatten, an jenen Tag im Herbst 1977.


„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.

Eine Antwort zu “Schalke goes East

  1. Pingback: Parkstadion | 1904 Geschichten

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