Der amerikanische Traum

”Panno” lauschte zusammen mit seinen Brüdern immer den tollen königsblauen Geschichten vom Papa, der alle schon im frühesten Kindesalter mit auf Schalke und auch auswärts nahm. Beneidenswert!

In dieser Geschichte nimmt uns Panno mit auf seine Achterbahnfahrt nach Amerika, die mit dem Derby gegen RWE 1989 beginnt…


Ende der 80er. 2. Liga. Wie immer machten wir uns auf den Weg. Jung, dynamisch, unerschrocken – so zumindest unsere Selbsteinschätzung. Wallek, Gerri, Buschi, Josenf, Tobi und ich. Die Reisegruppe aus der Kleinstadt wieder auf dem Weg in die Stadt Ihrer Träume. Ab zu den Schalker Helden. Das Derby steht an. Die Blauen gegen die Borbecker. Das Parkstadion prall gefüllt und aufgeheizte Stimmung. Bereits damals gibt es ein kleines Rahmenprogramm (nicht mit heute vergleichbar und wurde nur bei absoluten Highlights gemacht soweit ich mich erinnern kann). Irgendwelche Knirpse aus irgendwelchen Fußballvereinen zeigen auf dem Rasen ein paar Tricks und Kabinettstückchen. In das ganze Brimbamborium ist eine Gewinnspielaktion eingebaut. Der Hauptpreis ist eine 1-wöchige Reise gen Amerika (Washington?) für 2 Personen. Irgendein Knirps wird nach der ihm größten bekannten Zahl gefragt. „200“ sagt der kleine Pfiffikus. Nächster Junge an der Reihe. „5“.

Der Stadionsprecher (war es Bernd Scheffler?): „Wir bitten alle Schalke-Fans in Block 5 auf Ihre Karte zu sehen. Wer den Platz 200 hat möge bitte nach unten zum Marathontor kommen. Er ist der Gewinner und kann demnächst die Reise gen Amerika antreten. Schalke macht es möglich!“

Alle Kollegen um mich rum werden nach und nach leicht hektisch und nervös. Der Eine hat die 498, ein Anderer die 501 und so weiter. Nebenbei bemerkt selbstverständlich alle Dauerkarten. „Mensch Panno, guck doch mal auf deine Katte. Vielleicht hasse dat Dingen gewonnen. Und dann ab die Peitsche nache Amis bei. Da kommse doch sonst im Leben nicht mehr bei.“
„Leck mich doch am Säbel und geh mir nich auffen Sack. Gleich geht dat gegen die Borbecker und Ihr kommt mir mit sonne Kacke. Happ noch NIE irgendwat gewonnen. Hol mal besser Bier für de Stimme zum ölen.“

Heimlich, still und leise ich natürlich auf die Karte gesehen. Und was sehe ich. Block 5, Platz 200. Stille. Soll der kleine Junge vom Kanal auf einmal vom Glück geküsst sein? Wendet sich ab jetzt alles zum Guten? Ich nach Amerika und Schalke ab in die 1. Liga? Schalke international? Gar irgendwann Deutscher Meister? Mein Magen, mein Kopf. Nach einigen Minuten der Besinnung: „Jungs, ich muss Euch wat sagen. Drin der Fisch. Wir ham dat Dingen. Panno auf Amerika.“

„Jawoll! SCHALKE UND AMERIKA, SCHALKE UND AMERIKA, SCHALKE UND AMERIKA…HURRA, HURRA, DIE SCHALKER SIND BALD DA!“

„Jungens wir sehen uns später. Ich renn mal wacker beim Marathontor. Bis gleich und peitscht die Blauen zum Sieg!“ Ich also Füße in die Hand und ab zum Marathontor. Selbstverständlich hatte keiner der Ordner auch nur irgendeinen blassen Schimmer von der ganzen Aktion. Somit bedurfte es zahlreicher Diskussionen bis ich endlich am Ziel angekommen war.

„Wat Reise? Wat Amerika? Wollse mich verarschen Bengel? Ich kann Dich gleich ne Reise geben! Wahrscheinlich hasse noch nich ma ne Katte für heute. Abba den Lärri machen und schön bei de Spieler unten bei wollen. Nur noch mit Bekloppte hat man et hier zu tun. Dat gab et früher allet nich. Mach den Sittich Du Vogel und Sie zu datte Land gewinns“.
„Ährlich. Ich schwör dat. Hier die Katte mitte 5 und 200. Sowat lässt sich doch kein Mensch einfallen. Dat is abba sowat von Fakt mitte Reise und mitten unten antanzen. Lass mich getz durch odda ich dreh komplett anne Felge. Dat Spiel geht gleich los.“

So und so ähnlich ging es dann wirklich irgendwann bis ins Heiligste. Mit großen Augen und zittrigen Knien betrat ich die Tartanbahn. Definitiv wäre ich keine Verstärkung der Schalker Mannschaft gewesen. Der Kupferbolzen an der Kniekehle. Ich bekam eine Kurzanweisung vom Stadionsprecher wie und was nun noch heute so passieren würde mit mir, der Reisesponsor schüttelte mir die Hand und dann durfte ich mich hinter die Rollstuhlfahrer stellen und von dort den Sieg der Königsblauen verfolgen. Was hatte ich ein Hühnerfell. Wenn die Schlachtrufe unten in die Schüssel peitschten – SCHAAAAAAAAAAAAAAAAAALKE – unbeschreiblich. Ich allerdings hielt mich ein wenig zurück gesangstechnisch. Wollte ja als Landei nicht auch noch negativ auffallen da unten direkt an der Trainerbank. Nicht dass noch ein Anderer nach Amerika düst und ich in die Röhre gucke.

Nach dem Spiel ging es dann in die alte Geschäftsstelle (heutiges Ticketcenter). Mein Papa fuhr vom Parkplatz und sah mich. „Wat machs Du denn hier?“
„Vatta ich hab dat Dingen nache Amerikaner gewonnen. Man sieht sich zu Hause oder in Amerika.“
„Ja sicher. Lass dat mit dem Saufen sein und sieh zu datte heile nach hause komms. Bis denne.“ Weg war der Herr Papa.

Ich auf jeden Fall rein in die Geschäftsstelle wie in Trance. Daten wurden ausgetauscht um mich benachrichtigen zu können und so weiter und so fort. Der Sonnenkönig hat mir die Hand geschüttelt und sich gefreut dass ein Schalker Junge demnächst mal in die Staaten darf. War nicht ganz so meine Welt da, gab aber lecker Schnittchen und Getränke. Irgendwann ging es dann innerlich stark aufgewühlt und vom Derbysieg beseelt ab gen Heimathafen.

Die heimische Presse hatte die ganze Geschichte natürlich spitz bekommen und hat eine (leider sehr peinliche – „setz mal die Schalke-Kappe auf“, „Schal um“, „Lach mal“, „erzähl mal was von Schalke“…) „Homestory“ gebracht. Damit wussten dann natürlich alle in der Kleinstadt am Kanal bescheid. Kerl, was hatte ich ab da Freunde. In der Kneipe wurde ich auf Getränke eingeladen, beim Bolzen als Erster gewählt und sogar das weibliche Geschlecht fand mich und auch Schalke auf einmal super. Schließlich war die Reise ja für 2 Personen. Ich war der KING vom Kanal, der Spielführer, der Held. Und alles wegen Schalke!

Leider hatte ich nach einigen Wochen immer noch nichts vom geliebten Verein gehört bzgl. der Reise. Eigentlich nicht weiter schlimm da sich alle Kumpels und Mädels weiter überaus ins Zeug legten und ich der Commander war. Irgendwann allerdings habe ich mal in der Geschäftsstelle angerufen.
„Tach. Hier der glückliche Gewinner der Amerika-Reise. Wolle mal zart nachfragen wann et Infos gibt über den Trip. Wär gut wenn dat inne Sommerpause wäre. Da hätte ich Zeit und würde auf Schalke nix verpassen“ (und die Kollegen würden sich noch einige Zeit weiter überaus liebevoll um mich bemühen…).
„Tach auch. Damit ham wa nix zu tun. Müssen Se sich direkt mittem Reisebüro in Verbindung setzen. War ne Aktion von denen. Hier die Nummer. Rufen Se da mal an. Da kriegen Se allet wat se brauchen“
„Jau, danke. Ich schreib auch ne Katte an Sie alle und werde dat Schalker Wort in Amerika verbreiten. Tüsskes.“

So, ich dann mit feuchten Fingern bei dem Reisebüro angerufen. Nichts. Nochmals versucht. Nichts. Diese Prozedur zog sich auch wieder über diverse Wochen. Das kam selbst mir dann irgendwann mal komisch vor. Zwischenzeitlich natürlich auch mal wieder bei den Knappen durchgebimmelt und sachte angefragt.
„Junge, vertstehs Du dat nich? Bisse wat neben der Spur? Wir ham da nix mit anne Bralle! REISEBÜRO!“ so die klare Ansage. War eindeutig. Hab selbst ich verstanden. Also immer weiter beim Reisebüro versucht. Wer weiß schon wie viele Reisen die so verlosen und verkaufen. Da kann das mit dem Telefon bestimmt was dauern. Und irgendwann kam der Tag.

„Reisebüro (Name nicht mehr bekannt) … was kann ich für Sie tun?“

Ich schlagartig kurz vor dem Infarkt stehend. Zitteranfälle am ganzen Körper. Ruhe. Besinnung. In Gedanken: „Panno, sprechen! Sonst isset Essig mit Amerika. Der Flieger wartet nicht auf Dich. Und die vom Reisebüro sowieso nicht. Mach et. Hau et raus.“ Also allen Mut zusammen genommen.
„Glückauf! Dat gibbet nich dat ich Sie erreich. Wunderbar. Et kann abgehen. Ich bin der Junge der bei dat Spiel vonne Schalkers die Reise nach Amerika gewonnen hat. Leck mich am Arsch bin ich ein Glückspilz. Wollte nur die letzten Feinheiten mit Sie abklären. Wann geht dat los, kann ich noch ein paar Kumpels mitnehmen und wie lange und sowatt allet.“
„Oh. Das ist mir jetzt aber unangenehm. Aus der Reise wird wohl nichts. Wir sind pleite. Schönen Tag noch.“
Tut, Tut, Tut.

Aufgelegt die Gute. Ich so zu mir selbst. „Kann nicht sein. Guter Spaß. Wat ham die Dich getz verarscht. Dat ist bestimmt sowat wie versteckte Kamera gewesen. Mit uns Blaue könnse dat ja machen. Bissken Spaß muss sein.“
Versucht anzurufen. Nix. Wieder und wieder und wieder und wieder versucht. Nix. Irgendwann hab ich das selbst in mein Katzenhirn bekommen. War kein Spaß. Nix Reise. Die haben noch weniger Geld als wir Schalker. Dann nochmals vorsichtig beim geliebten Club nachgefragt ob die noch was machen könnten bzw. ob jemand eine Idee hätte.
„Junge Du bist wirklich nicht der Hellste, oder? Penns Du auffen Baum oder wat? Is dat ne Aktion von Schalke? Bieten wir Flugreisen an? Gehören uns Hotels? NE! REISEBÜRO!!! Oder sollen wir dat jetzt bezahlen? Uns ham se auch verarscht. Wir ham doch auch kein Geld. Da komms Du mit Deiner Reise abba sowat von genau richtich. Nur mit Pfegefällen hat man et zu tun.“
„Jau. Hatta verstanden. Is allet im Lack. Nich aufregen. Will doch nix von mein Schalke. Ihr könnt doch auch nix für die Arschlöcher. Bestimmt Essener oder Dortmunder. Hoffentlich steigen wa auf und die ham die nächsten 100 Jahre Pech. Glückauf.“

Was soll ich sagen? Schade, wär bestimmt schön gewesen in Amerika. Hauptsache damals das Derby gewonnen und das noch von ganz nah dran. Kann mir kein Mensch mehr nehmen. Am Ende zwar nicht aufgestiegen aber vor den Essenern in der Tabelle. Das war und ist mein Schalke! Ein wenig chaotisch, kein Geld aber das Herz auf dem rechten Fleck! Die Kumpels und ich fahren natürlich immer noch auf Schalke. Auch ohne die Reise. Scheiß wat auf Amerika wenne Schalker bis! Alles für Schalke!

Glückauf,
Panno
P.S. Es ist bis zum heutigen Tag „verlosungstechnisch“ nicht mein einziger Preis geblieben. Auf einer Weihnachtsfeier des örtlichen Fußballvereins habe ich mal beim Kauf von 104 Losen satte 5 Poularden gewonnen. Als ich im örtlichen Fleischereifachgroßhandel die Gutscheine eintauschen wollte bekam ich folgende Auskunft: „Ausverkauft und nicht gegen andere Sachen einzutauschen.“ Schade, wäre bestimmt lecker gewesen.
Dafür mittlerweile aber UEFA-CUP-SIEGER und 2maliger DFB-POKAL-GEWINNER. Und DEUTSCHER MEISTER. Für über 04 Minuten (ist jetzt aber eine andere Geschichte…) Als Schalker ist man halt immer auf der Sonnenseite. Mag es hin und wieder auch nicht so aussehen.


„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.

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