Wolfgang Heck ist seit ungefähr 1968 Schalke-Fan, hat wie so viele auch keine Ahnung weshalb. Als „Meenzer Bub“ schlägt sein Herz nebenbei auch noch ein bisschen für die NullFünfer, zumal er dort mit seinem Bruder zum ersten Mal in einem Fußballstadion war, danach in allen Schalker Stadien und bis heute auch immer wieder mal auswärts.
Heute schreibt Wolfgang Heck über das Pokalfinale 1972, als die Bahn leider pünktlich fuhr…
Wir schreiben den 1.Juli 1972. Nur wenige Tage vorher unterlagen unsere königsblauen Ballartisten mit 1:5 bei den Bayern. Vizemeister. Damals schon. Wir freuten uns den Arsch ab über diesen Erfolg. Und ich 17-jähriger Pimpf freute mich seit Wochen wie ein Hühnerdieb auf diesen 1.7.1972. Längst hatte ich meine Eintrittskarte besorgt. In einem Reisebüro am Mainzer Hauptbahnhof. Inklusive einer Zugkarte für den Sonderzug von Mainz nach Hannover. Das Kribbeln wurde von Tag zu Tag stärker. POKALENDSPIEL im Niedersachsen Stadion in Hannover. Gegen Kaiserslautern.
Ivica, der Trainergott wird es schon richten, dass wir den Pokalsieg feiern können. Die Zecken waren am Ende der abgelaufenen Saison abgestiegen. Ganz ehrlich. Es interessierte mich damals nicht die Bohne. Die waren mir egal. Heutzutage wäre das ein Festtag. Heute denke ich, damals war ich noch kein richtiger Schalker. Kein Bier auf den Zeckenabstieg. Bin ich nun kein wahrer Schalker?
Wie dem auch sei. Mein Sonderzug ging um 8 Uhr ab Mainz Hauptbahnhof. 8 Uhr!! Pünktlich um 7.50 Uhr stand ich auf dem Gleis. Zwar wunderte ich mich beim Eintreffen am Bahnhof über die merkwürdige Stille. Bestimmt saßen alle schon im Zug. Nun stand ich auf dem Bahnsteig. Weder Lauterer noch Schalker Fans zu sehen. Leider auch kein Sonderzug. Der ist schon seit einer Stunde unterwegs nach Hannover. Ohne mich. Ich Trottel hatte mir seit Tagen eine falsche Abfahrtszeit eingeprägt. Verdammter Mist. Ich hatte mich so sehr auf das Endspiel gefreut.
Mein erster Weg führte mich zum Reisebüro Poppe ( was für ein Name!!). Vielleicht fährt ja noch ein anderer Zug. Das Grinsen der grell geschminkten Tussi werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Nein, ein weiterer Zug fährt nicht mehr. Aber in Kürze fährt ein Fanbus ab. Ein Platz ist noch frei, beschied sie mir mit süffisantem Lächeln. Mein Herz schlug höher, hatte ich doch die Aussicht meine kickenden Helden doch noch zu sehen. Mit einem breiten Grinsen um die viel zu grell geschminkten roten Lippen händigte mir diese arrogante Ziege meine Busfahrkarte aus. Na also. Nichts konnte mich jetzt noch aufhalten.
Als ich den Bus erreichte, wusste ich, warum diese Zicke so gegrinst hatte. 49 Lauterer Fans waren schon am Saufen und am singen. Ach Du Scheiße. Für mich blieb nur der letzte Platz im Bus. Ganz hinten. Das konnte ja heiter werden. Unter den jetzt schon den Pokalsieg feiernden Pfälzer Landeiern entdeckte ich „Spohr“. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht mehr. Spohr war ein überregional bekannter Kicker, gegen den ich beim letzten Spiel ziemlich alt ausgesehen hatte. Obwohl er ein alter Sack von 32 Jahren war, hatte er mir Knoten in die Beine gespielt. Dieser Rastelli für Arme kam heimtückisch grinsend auf mich zu. „Na, willst wohl mal eine ordentliche Mannschaft spielen sehen?“. Natürlich meinte diese Teufelsfratze seinen 1.FCK. Ich grinste ihn an und erwiderte vorsichtshalber mal gar nichts. Spohr zeigte sich großzügig. „Pass auf“, sagte er. „Wir bleiben fair zu Dir, egal wie hoch wir heute gewinnen.“ Innerlich haute ich ihm eine in die große Fresse. Natürlich musste ich mir auf der Fahrt einigen Spott und Häme anhören. Spricht man etwa so mit einem Vizemeister? Egal. Fichtel, Fischer, Libuda und die anderen Jungs werden mich schon entschädigen.
Nach einer endlos scheinenden Fahrt kamen wir endlich in Hannover an. Raus aus dem Bus. Endlich konnte ich zu gleich Gesinnten. Endlich keine Pfälzer Landeier mehr um mich herum.
Im Schalker „Block“ war schon richtig Stimmung. Ich lernte ein nettes Mädel aus Hilchenbach kennen. Pfft. Was heißt hier nett. Die sah wahnsinnig gut aus. Ob ich auch einen Schluck Wein trinken wolle. Natürlich wollte ich. Die Weinflasche!!!!!! kreiste um. Langsam begannen die Sprechchöre. „Horvath, lass die Löwen los“. Die Stimmung war prächtig. Das Stadion war fest in Schalker Hand. Später würde mir mein Vater sagen, dass man im Fernsehen nur die Schalker gehört habe. Und ich war mittendrin. Beim 1:0 durch Helmut Kremers sprang mir die Braut um den Hals. Wow. Ich drückte sie noch enger an mich, schließlich galt es ja die Führung im Pokalendspiel gebührend zu feiern. Der Wahnsinn ging weiter. Noch vier Mal durfte ich den knackigen Körper der Maus beim Feiern spüren. Der Wein zeigte Wirkung. Ach Scheiß drauf. Immerhin holten wir den Pott.
Nach dem Schlusspfiff feierten wir ausgiebig den grandiosen Sieg. Lange Zeit blieb aber nicht. Schließlich sollte mir nicht auch noch der Bus vor der Nase weg fahren.
Mit breiter Brust und noch breiterem Gang lief ich zu meinen Lauterer „Freunden“. Spohr saß auf der Treppe des Busses und weinte bitterlich. Ich legte ihm beruhigend meine Hand auf die Schulter und sagte ihm, dass ich fair bleibe, obwohl wir so hoch gewonnen haben.
Diesmal musste ich mich auf meinem Sitz nicht klein machen. Ich wurde auch von niemandem blöd angemacht (heute undenkbar). Zumindest durfte ich auf der Rückfahrt die Pinkelpausen bestimmen und die Tankstellen aussuchen, an denen der Getränkevorrat aufgefüllt wurde. Die meisten Pfälzer Landwirtssöhne schliefen ohnehin.
Irgendwann, ich weiß bis heute nicht mehr wie, erreichten wir Mainz. Spohr klopfte mir auf die Schulter und presste aus schmalen Lippen hervor: „Langer, ihr wart die bessere Mannschaft und habt verdient gewonnen.“ Konnte es in diesem Moment ein größeres Lob geben? Spohr blieb sich aber treu: „Im Rückspiel bei Euch spiele ich dich wieder schwindlig“, spielte er auf mein Versagen gegen ihn im letzten Spiel an. Ich gönnte es ihm. Mein Tag endete im „Oberbayern“ in Mainz. Ich trank das Bier in Maßen, ähh sorry, aus Maßen. Wozu gab es schließlich direkt vor der Tür einen Taxistand.
„1904 Geschichten“.
Die Bitte geht an Alle: wenn ihr etwas habt aus über 100 königsblauen Jahren, etwas Wahres über Schalke, das ihr teilen wollt, Erlebnisse die erinnernswert sind oder ganz einfach Schilderungen, wie es war, wie man sich Eintrittskarten besorgte, wo in der Glückaufkampfbahn, dem Parkstadion oder der Arena man „daheim“ war, wie man dahin kam und wie es da zuging, oder was auch immer vielleicht jemand, der Schalke nur vom Fernsehen oder aus der Zeitung kennt, nie oder niemals wirklich wissen kann – aber vielleicht sollte – schickt mir (matthias.berghoefer[at]web.de) einfach eure Texte, Dreizeiler oder halbe Romane und egal wie’s mit Rechtschreibung aussieht. Hauptsache das, was ihr erzählt, ist wirklich wahr, man erkennt um welches Jahr es geht (wenigstens ungefähr) und ihr habt kein Problem damit, dass es hier, und vielleicht auch irgendwann mal in einem Buch, veröffentlicht wird – natürlich unter eurem Namen, oder einem „Pseudonym“ falls euch das aus irgendeinem Grund lieber ist.
1904 Geschichten sind eine Menge Holz. Ich bin mal gespannt.